Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
selbst Vorwürfe wegen Doris machte. All das lag in dem Blick des Mannes, der sie überwältigt hatte.
»Letzte Warnung, geben Sie die Beamtin frei!«, drang es wieder durch die Halle.
»Verdammt, Mason, Sie kommen hier nicht weg«, presste Julia hervor. Sein Knie drückte auf ihren Brustkorb, er hatte sich ein wenig aufgerichtet, sie erwartete jeden Augenblick, dass er hochschnellte und davonlief.
Tatsächlich spannte er unmittelbar darauf seine Muskeln an, die Kommissarin spürte es durch den kurzen, stärker werdenden Druck auf ihr Brustbein. Dann gellte ein Schuss.
Die nächsten Bilder spielten sich wie in Zeitlupe ab. Jonas Mason bäumte sich auf, sein Kopf schnellte nach hinten, es war eine unnatürliche, grauenhafte Verrenkung. Das linke Ohr explodierte, und Blut, Knochensplitter und Gehirnmasse spritzten aus dem handflächengroßen Loch. Der Oberkörper sackte nach links, Julia lag noch immer wie versteinert auf dem kalten Boden, dann hörte sie den dumpfen Schlag, mit dem Mason auf den blanken Stein knallte. Wo einst das rechte Auge gewesen war, befand sich ein Loch, aus dem Blut zu fließen begann, dann erst verstand die Kommissarin, was eben geschehen war: Der geplante Warnschuss in die Schulter hatte sich durch Masons plötzliche Bewegung in einen tödlichen Kopfschuss verwandelt, eine Ironie des Schicksals. Dann spürte Julia ein krampfhaftes Zucken, es war das Bein, das immer noch über ihrer Hüfte lag, und für einige unerträgliche Sekunden konnte sie nichts anderes tun, als das epileptische Krampfen eines sterbenden Körpers am eigenen Leib zu spüren. Endlich flaute das Zittern ab, und das aufgerissene linke Auge wurde trüb, starrte sie nicht mehr an, sondern verlor sich in der Unendlichkeit.
Julia Durant ließ den Kopf zur Seite fallen, in der Ferne glaubte sie, Hellmer heraneilen zu sehen. Sie verbarg ihr Gesicht unter den Händen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Montag
Montag, 15.20 Uhr
D ie ganze Abteilung schien wie leer gefegt, es drangen keine Stimmen aus den benachbarten Büros und keine hektischen Schritte trappelten über den Gang.
Saure-Gurken-Zeit, so nannte man die heißen Julitage in der Medienbranche, in denen man antriebslos auf einen Aufhänger hoffte, der einem ohne Zutun auf den Tisch flatterte. Oder man grub sich im kühlen Keller durch die Archive, um einen alten Reißer zu recyceln, oder, noch besser, man erfand einen neuen.
Sommerloch, so lautete die entsprechende Bezeichnung für jene Phase des Jahres in der Politik, im K 11 jedoch gab es diese Ruhephase nicht. Die Stille auf den Gängen, so wusste Julia Durant, hatte eine andere Ursache. Ungeduldig sah sie auf die Uhr, zum x-ten Mal in den letzten Minuten, verfolgte den Sekundenzeiger, der sich heute nur mit halber Geschwindigkeit zu drehen schien. Erst als Bergers Stimme sie mit einem energischen Unterton aus ihren weit außerhalb des Präsidiums schweifenden Gedanken riss, zuckte sie zusammen und erinnerte sich, dass sie sich gerade mitten in einem Rapport mit ihrem Chef befand.
»Entschuldigen Sie, ich war in Gedanken«, erwiderte sie schnell und wechselte den Telefonhörer von einem Ohr zum anderen.
»Ist mir nicht entgangen.« Versöhnlich fügte Berger hinzu: »Kommen Sie, noch die letzten Details, dann verziehe ich mich zu meiner Fango-Packung.«
Berger, das hatte er ihr zu Beginn des Telefonats erläutert, war von seinem Arzt kurzfristig nach Blankenburg im Harz überwiesen worden. Physiotherapie, Massagen und osteopathische Behandlungen füllten dort seine Tage, es ginge ihm den Umständen entsprechend gut, möglicherweise ließ sich eine riskante Rückenoperation doch noch vermeiden.
»Ich fasse mich kurz«, versprach Julia, ganz im eigenen Interesse, denn sie wollte endlich raus aus dem Büro.
»Wir waren bei den Datenspeichern von Alexander Bertram stehengeblieben«, rief Berger in Erinnerung. »Herr Schreck hat die Verschlüsselung geknackt, und dann?«
»Nun, wir haben die verschlüsselten Archive wiederhergestellt und dazu den gesamten Posteingang«, nahm die Kommissarin ihren Bericht wieder auf. »Eine Menge Mails zwischen Bertram und Stiegler, aber leider keine Adressen von Dritten. Die beiden waren ein übles Gespann, zugegeben, das sah man ihnen nicht an, schon gar nicht diesem Stiegler.«
Sie wartete auf Bergers nächste Frage. Seit über einer Viertelstunde löcherte er sie bereits über den Fall »Mason II«, wie Hellmer ihn ironisch bezeichnet hatte.
»Hätte es etwas gebracht,
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