Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
oben. Auf der Ladenebene angekommen, orientierte Mason sich neu. Er hatte den Flughafen vor zwei Wochen bereits aufgesucht, damals jedoch mit dem Taxi, und musste sich nun ins Gedächtnis rufen, in welcher Richtung sich der direkte Aufgang zur Abflughalle befand. Eingecheckt hatte er bereits gestern Abend, eine ausgesprochen weise Entscheidung, wie er nun feststellte. Wie aber war ihm die Polizei auf die Schliche gekommen, über diese Frage zermarterte er sich schon seit einer Viertelstunde das Gehirn.
Diese bescheuerte kleine Lady auf der Treppe, das hätte wirklich nicht zu passieren brauchen.
Julia Durant durchquerte die Abflughalle in Terminal 1, sie atmete schnell, ließ den Blick stetig von einer Seite zur anderen wandern. Das Fahndungsfoto hatte sich ihr eingebrannt, wie abgespeichert sah sie das Bild von Jennifer Masons Bruder vor sich. Dort drüben, nein, doch nicht. Weiter. Wo geht es zu den Gleisen? Bin ich zu spät? Julia Durant näherte sich einer Gruppe Reisender, ein Mann löste sich aus ihr. Und dann stand Jonas Mason direkt vor ihr, dieser große, muskulöse Mann mit denselben nachdenklichen Augen, die auch seine Schwester gehabt hatte.
»Mason!«, entfuhr es Julia, die beinahe mit ihm zusammengerempelt war. In diesem Moment, in dem es für einen Augenblick so schien, als würde die Erde sich aufhören zu drehen, wusste sie nicht, wer von beiden den größeren Schrecken durchlebte. Sie, die ihrem gesuchten Mörder von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, oder er, der sich wie ein Kaninchen in der Falle fühlen musste.
Doch weit gefehlt. Mit einer blitzschnellen Bewegung setzte Mason seine Hände zum Angriff ein, lange bevor Julia ihre Waffe in Anschlag bringen konnte. Mit einem schmerzhaften Schlag trafen seine Knöchel sie auf den Puls der rechten Hand, die Finger öffneten sich kraftlos, und die Dienstwaffe flog in einem hohen Bogen davon. Mit einem lauten, metallischen Krachen knallte sie auf den Steinboden und glitt mit einem leiser werdenden Schaben einige Meter weiter. Julia nahm all ihre Kraft zusammen, um die Arme des Mannes zu fassen, der bald zwei Köpfe größer war als sie. Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, dass sich eine aufgebrachte Menschenmenge bildete, konnte nicht aufhören, an die ungesicherte Waffe zu denken, die herrenlos auf dem Boden lag, und gleichzeitig sehnte sie sich nach ihrem Freund Hellmer, der ihr hoffentlich hinterhergerannt war, nachdem sie ihn so stiefmütterlich hatte sitzen lassen.
»Geben Sie auf, Mason«, zischte sie, »ich bin nicht alleine.«
Doch unter einem grauenvollen Schmerz drehte dieser ihr den Arm auf die Seite, überdehnte dabei die Muskeln, und Julia schrie auf, als sich das Schultergelenk auszukugeln drohte. Ihre Gedanken rasten, wollten noch immer nicht begreifen, dass sie hier gegen einen jungen Mann kämpfte, der unterm Strich vielleicht mehr Opfer als Täter war. Stellte sie sich deshalb so unfähig an? Nein, er war nur gut fünfzehn Jahre jünger und ein trainierter Soldat. Mit einem gezielten Stoß katapultierte Mason sie einen Meter von sich. Doris, dachte Julia sofort, und ihr Mitleid verschwand. Nicht mit mir! Mason setzte an loszurennen, doch die Kommissarin sprang auf ihn zu und riss ihn um. Mason schlug der Länge nach zu Boden, fing sich gerade noch mit den Händen ab, doch Julia, die nur seine Beine zu fassen bekommen hatte, arbeitete sich bereits nach oben. Mit ihrem ganzen Gewicht, was mindestens zwanzig Kilo weniger waren, als der sich unter ihr windende Mason aufzubieten hatte, presste sie das Gesäß auf seine Wirbelsäule und griff nach den rudernden Armen. Aber Mason war stärker, sie befürchtete, dass er jeden Augenblick die Oberhand gewinnen würde.
»Achtung, hier spricht die Polizei!«, hörte Julia in dieser Sekunde. Die Stimme kam aus einem Megaphon, klang daher etwas blechern und hallte nach. »Sie sind umstellt, ergeben Sie sich!«
Endlich, die Kavallerie, dachte Julia Durant erleichtert. In diesem Augenblick hebelte Mason sich mit einer ruckartigen Bewegung zur Seite und riss die Kommissarin herum. Bevor sie begriff, wie ihr geschah, keuchte er – mit triumphierendem Lächeln und hochrotem Kopf über ihr – keine zwanzig Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt. In seinen Augen lag noch immer etwas Nachdenkliches, es war wirklich exakt wie bei Jennifer, und Julia erkannte, dass er ihr nichts tun wollte, dass er mit der Rache an Stiegler und Bertram sein Ziel erreicht hatte und dass er sich wahrscheinlich
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