Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Druck sie in das weiche Leder des Sitzes presste. Gott sei Dank war die A66 nur mäßig befahren.
»Sag mal an, wohin genau wir müssen«, sagte Hellmer, als der Porsche zwar etwas an Fahrt verloren hatte, doch noch immer mit atemberaubendem Tempo über die linke Spur dahinjagte. »Ich muss da vorne in Kriftel schon gleich wieder runter auf die B40.«
»Na der Bahnhof eben«, antwortete Julia schulterzuckend. »Aber nicht dieses überdimensionale Osterei, wo die ICEs halten, sondern der alte.«
Sie spielte auf das im Bau befindliche »AIRRAIL–Center« gegenüber dem Terminal 1 an, dessen nach und nach mit spiegelnden Flächen verkleidetes Gerippe an die Form eines riesigen Kreuzfahrtschiffs erinnerte. Durch das Untergeschoss des Centers führten fünf ICE-Gleise.
»Zum Regionalbahnhof also, okay, kein Problem«, nickte Hellmer. Dieser Bahnhof befand sich in der untersten Ebene von Terminal 1. »Gib mir fünf Minuten, wenn’s gut läuft.«
Julia warf einen Blick auf die Uhr, 09:23. Sie kannte den Fahrplan nicht auswendig, wusste aber, dass die S-Bahn von der Hauptwache zum Flughafen etwa zwanzig Minuten brauchte, vom Hauptbahnhof, den sie ja bereits passiert hatte, war es kaum mehr eine Viertelstunde.
»Scheiße! Das wird knapp.«
Sie wählte Kullmers Nummer – natürlich war die Leitung zum Kollegen Göde längst unterbrochen – und war daher heilfroh, dass er dennoch an das fremde Handy ging.
»Was zum Teufel war das denn eben für eine Aktion?«, eröffnete er das Gespräch.
»Fluchen Sie nicht«, erwiderte Julia. »Mein Vater ist Pfarrer. Hören Sie, ich brauche Ihre Hilfe. Wir vermuten, dass der Flüchtige in Richtung Flughafen unterwegs ist. Sein richtiger Name ist übrigens Jonas Mason, gesucht wegen zweifachen Mordes. Verständigen Sie die Kollegen am Flughafen, die Bundespolizei, den Sicherheitsdienst, ja meinetwegen sogar den verdammten Zoll! Wir sind in fünf Minuten vor Ort.«
»Betrachten Sie es als erledigt«, bestätigte Göde, »gute Jagd! Ach, übrigens …«
»Was denn noch?«
»Eben haben Sie selber geflucht.«
»Hast du deine Dienstwaffe dabei?«, fragte Hellmer, als er den Porsche auf den Airportring manövrierte, und klopfte sich dabei auf die linke Brust, unter der sich sein Schulterhalfter verbarg.
»Nein, natürlich nicht«, murmelte Julia bitter. »Ich übe ja derzeit rein administrative Tätigkeiten aus.«
»Verstehe«, grinste Hellmer. Er griff unter seine Jacke und zog den Revolver hervor, eine SIG Sauer P6. »Du kannst mir jetzt also entweder die Dienstanweisung erteilen, dir meine Waffe auszuhändigen, oder du bleibst ganz administrativ drei Meter hinter mir.«
»Schau auf die Straße und her mit dem Teil«, knurrte Julia grimmig. »Du fährst direkt vors Terminal, ich springe raus, jede Sekunde zählt.«
»Wird vielleicht ihr letzter Einsatz«, sagte Hellmer. Julia wusste, worauf er anspielte. Das Innenministerium hatte neue Dienstwaffen in Auftrag gegeben, es waren hochmoderne Heckler & Koch P30 mit fünfzehn Schuss pro Magazin, also doppelt so viel wie bei den bisherigen Modellen bei gleichbleibendem Gewicht. Sie hatte auf dem Schießstand bereits damit geschossen und war froh, dass die alten Knarren nach zwanzig Jahren endlich ausgemustert wurden. Und dennoch blieben es Waffen, tödliche Werkzeuge, die niemals mehr bedeuten durften, als das letzte Mittel zur Verteidigung des eigenen Lebens zu sein.
Mit einem Ruck kam der Wagen zum Stehen, und Julia sprang hinaus. Ohne auf Hellmer zu warten, eilte sie davon in Richtung S-Bahnhof, der sich einige Ebenen unter ihr befand.
Samstag, 9.27 Uhr
A ls die Schiebetür des Waggons sich öffnete, musterte Jonas Mason in gewohnter Manier die Umgebung.
Gefahren, Fluchtwege, Tarnmöglichkeiten
Hunderttausendmal waren ihm diese Leitworte zur Analyse feindlichen Terrains eingebleut worden, bis es ihm in Fleisch und Blut übergegangen war. Während er den anderen Passagieren den Vortritt ließ, suchte er nach einer Personengruppe, der er sich anschließen konnte. Die Militärakademie und zwölf Monate Afghanistan hatten den Soldaten geprägt, er konnte sich tagelang in kargem Feld tarnen, mit den alltäglichsten Gegenständen die unmöglichsten Konstruktionen herstellen und sich in beinahe jeder Situation angemessen und unauffällig verhalten, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Er tastete die Brusttasche seines olivfarbenen Hemdes, ein Pass und zwei Flugtickets befanden sich darin. Im Gegensatz zu seiner geschickt
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