Todesmelodie: Ein neuer Fall für Julia Durant (Knaur TB) (German Edition)
Abend gab es also nur Frank Hellmer, ihren treuen Kollegen, mit dem sie so manches Tal durchwandert hatte. Sie saßen im Holzhausenpark auf einer Bank unter einer majestätischen Kastanie in der Nähe der Liegewiese, auf der sich noch einige Personen, meist junge Pärchen, befanden.
Keiner von beiden hatte sich bislang dazu durchgerungen, konkret über den abgeschlossenen Fall zu sprechen, sie hatten sich über Kullmer und Seidel unterhalten und ihrer immensen Erleichterung Luft verschafft, dass dem Baby nichts passiert war.
»Verrückte Sache, nicht wahr?«, brach Hellmer schließlich das Schweigen.
»Was meinst du?«
»Alles, der ganze Fall. Man kann nur immer wieder staunen, was Rache doch für eine mächtige Triebfeder ist.«
»Schon«, nickte Julia, »aber war es das alles wert? Dafür zu sterben, meine ich?«
»Ich weiß nicht, ob Mason sich diese Möglichkeit vorher ausgemalt hat.«
»Na, er ist bestimmt nicht losgezogen, ohne in Betracht zu ziehen, dass er gefasst wird oder ihm sogar Schlimmeres passiert. Zugegeben, er hat alles dafür getan, seine Anwesenheit zu verschleiern, und beinahe wäre es ihm ja auch gelungen. Besonders dreist war auch diese Sache mit der Sprachsoftware. Den eigenen Akzent zu überspielen, indem man einen getippten Text zuerst ins Deutsche übersetzt und dann von einer Computerstimme vorlesen lässt … Das zeigt, wie wenig er dem Zufall überlassen hat. Er wäre heimgekehrt, hätte den Tod seiner Schwester gerächt gehabt und wäre dabei laut Reisepass offiziell niemals auch nur in der Nähe von Frankfurt gewesen. Innerhalb der Familie hätte ihn wahrscheinlich keiner dafür zur Rechenschaft gezogen, doch letzten Endes hinterlässt er bei den Hinterbliebenen noch eine viel größere Lücke, denn nun haben sie alle beide Kinder verloren. Schlimmer noch: Er ist zum selben brutalen Mörder geworden wie die, die seine Schwester auf dem Gewissen haben. Ihn juckt’s ja nicht mehr, aber das Leid ist unterm Strich durch seinen Rachefeldzug nicht gerade weniger geworden.«
»Hm, wenn man es so sieht«, brummte Hellmer. »Frau Stiegler, das Ehepaar Bertram und dann die eigene Familie, das stimmt schon. Aber es gibt auch noch die Kehrseite der Medaille: Die beiden Kerle quälen und töten immerhin keine jungen Frauen mehr.«
»Schwacher Trost«, kommentierte Julia trocken. »Dann tut’s irgendein anderer. Ich meine, wir wissen zwar nicht, wann und wie genau Bertram und Stiegler sich als Partner in diesem schmutzigen Geschäft zusammengefunden haben, aber du glaubst doch nicht im Ernst, dass sie eine Lücke hinterlassen, die sich nicht ganz bald wieder schließen wird, oder? Die Nachfrage an diesem kranken Scheiß bleibt doch bestehen, so viel ist sicher.«
»War weder als Trost noch als Rechtfertigung gemeint«, beharrte Hellmer. »Aber so, wie ich dich kenne, ist das auch noch nicht der Knackpunkt, der dich wurmt, richtig?«
»Keine Ahnung, ich glaube, das weiß ich selbst nicht so genau«, gestand Julia mit einem Schulterzucken.
»Versuch’s doch einfach mal. Oder soll ich?« Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr Hellmer mit seinem Resümee fort: »Wir köpfen ja selten einen Schampus, wenn wir mal wieder einen Dreckskerl dingfest gemacht haben – ich sowieso nicht«, ein kurzes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, dann wurde er wieder ernst. »Aber was mir tierisch auf den Zeiger geht, ist, dass selbst jetzt, wo alle Beteiligten tot sind, die Geldgeber hinter dieser perversen Industrie unbehelligt bleiben. Oder glaubst du daran, dass sie auch nur einen Einzigen dieser geilen Säcke identifizieren werden?«
»Keine Ahnung«, gab Julia zurück, und sie wusste es wirklich nicht. Niemand konnte das wissen, aber andererseits verstanden weder das FBI noch Interpol Spaß bei Delikten mit sexueller Gewalt. »Wir werden es mit etwas Glück irgendwann mitbekommen«, ergänzte sie seufzend. »Aber bei mir ist es tatsächlich noch etwas anderes, was mich beschäftigt.«
»Aha, wusste ich’s doch!«, triumphierte Hellmer. »Dann mal raus damit.«
»Wenn ich mich zurückerinnere an die ganzen großen Fälle, wie alt waren die Täter da? Erwachsen waren sie, der eine mehr, der andere weniger, aber es waren doch meistens ganz andere Typen, oder kommt mir das nur so vor?«
»Kann schon sein«, pflichtete Hellmer ihr bei. »Mit einer Horde von Studenten jedenfalls hatten wir es so noch nicht zu tun.«
»Ich meine, nehmen wir mal diesen Simmons, wie alt war der noch mal?
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