Todesmelodie
Rippen fühlen konnte, die sich deutlich unter seinem Hemd abzeichneten. Er war einfach zu dünn – und vielleicht auch nicht so zufrieden, wie er vorgab zu sein. Er nahm nie zu und hatte noch nie eine Freundin gehabt.
»Chad ist mein Partner fürs nächste Wochenende«, erklärte Ann. »Das ist meine letzte Chance, über die Stränge zu schlagen, bevor sein Bruder eine brave Hausfrau aus mir macht!«
»He«, meinte Paul wieder.
Chad erwiderte Anns Umarmung und sagte grinsend: »Wir haben bestimmt viel Spaß!«
Ein paar Minuten später gingen sie zusammen den Hügel hinunter. Es war beschlossen worden, daß sie nur ein Eis essen gehen würden, damit Sharon vor dem Schlafengehen noch mindestens acht Stunden an ihrem Klavier verbringen konnte – der Ruhm war ihr sicher, wie alle einhellig fanden.
Ann und Paul blieben ein Stück hinter den anderen zurück.
»Und sie wird bestimmt nicht körperlich verletzt?« flüsterte Paul.
»Außer wenn der Richter entscheidet, daß sie gehängt wird«, flüsterte Ann zurück.
Paul zuckte zusammen. »Wie kannst du sie nur so hassen?« fragte er ungläubig.
»Und wie kannst du jemanden lieben, der so voller Haß ist?«
»Jetzt spiel bitte keine Spielchen mit mir!«
Ann zuckte mit den Schultern. »Ich habe eben ein gutes Gedächtnis.«
»Sie wird bestimmt freigesprochen«, gab Paul zu bedenken.
»Das sollte dir die Entscheidung erleichtern.«
»Ich hab’ mich doch längst entschieden, verdammt! Ja, ich helfe dir – bist du jetzt zufrieden?«
Ann lächelte ihm zu. »Ich bin sogar glücklich!« Ihre Erleichterung in diesem Moment überraschte sie. Oder vielleicht war sie auch nur ganz allgemein überrascht – denn der Plan war tatsächlich verrückt, und es erstaunte sie, daß Paul eingewilligt hatte. Er mußte sie wirklich lieben, und das war gut so! Sie selbst tat dies alles ebensosehr aus Liebe wie aus Haß, und sie wußte, daß diese beiden Gefühle lange nicht so unvereinbar waren, wie die Leute glaubten. Sie waren wie zwei Seiten einer Münze oder zwei Enden eines zerrissenen Seils, die eines Tages wieder zusammengeknüpft werden konnten…
2. Kapitel
Im Gerichtssaal
Staatsanwältin Margaret Hanover hatte die Befragung von Chad beendet. John stand auf und ging nun seinerseits zum Zeugenstand hinüber. Sharon lehnte sich weit vor in der Hoffnung, sehr bald ein paar Punkte gutzumachen.
»Hallo, Chad«, begann John. »Ich heiße Johnny Richmond.«
»Ich weiß, wie Sie heißen«, erwiderte Chad, der einen Teil seiner Beherrschung wiedergefunden hatte, aber noch immer sehr leise sprach.
»Das stimmt; wir haben uns schon einmal gesehen. Ich bin vor ein paar Wochen mal bei Anns Haus gewesen, und Sie waren gerade dabei, den Rasen zu mähen.«
John war dort gewesen?
Sharon hatte keine Ahnung, welche Vorbereitungen er für den Prozeß getroffen hatte, denn er sprach nicht darüber, sondern zog es vor, sie im Ungewissen zu lassen.
»Ja«, erwiderte Chad.
»Sie haben vor ein paar Minuten ausgesagt, daß Sie Ann Rice seit zehn Jahren kannten, ist das richtig?«
»Ja.«
»Haben Sie das Mädchen gern gehabt?«
»Ja«, antwortete Chad und wurde rot.
»In der letzten Zeit war Anns Bild fast jeden Tag in der Zeitung – sie war schön, wirklich außergewöhnlich schön. Haben Sie ihr romantische Gefühle entgegengebracht?«
»Einspruch, Euer Ehren«, meldete sich die Staatsanwältin zu Wort. »Das ist unwichtig!«
»Einspruch stattgegeben«, sagte Richter Warner.
»Aber Sie haben gesagt, Sie hätten Ann gern gehabt«, fragte John sofort unbeeindruckt weiter. »Gehe ich recht in der Annahme, daß Sie ihren Namen nicht gern befleckt sehen würden?«
»Sie war eine gute Freundin«, erwiderte Chad.
»Bitte beantworten Sie meine Frage«, erinnerte John ihn sanft.
»Nein, ich möchte nicht, daß ihr Name schlechtgemacht wird.«
»Und Sie glauben auch nicht an einen Selbstmord?«
»Es war kein Selbstmord!«
»Wessen Idee war dieser Ausflug?« fragte John weiter.
»Das hab’ ich doch schon gesagt – es war meine.«
»Tatsächlich haben Sie sich etwas anders ausgedrückt. Sie haben gesagt«, John holte seinen Notizblock hervor, »›Ich glaube, es war meine. Wir haben alle darüber gesprochen; ich kannte die Gegend am besten. Ann war ganz aufgeregt wegen des Ausflugs.‹ Ist das richtig?«
»Ja.«
»Haben Sie wirklich alle darüber gesprochen?«
»Ja.«
»Also sind Sie sich nicht absolut sicher, wer die Idee mit dem Ausflug als erster
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