Todesnacht: Island-Thriller (German Edition)
der anschließenden Besprechung nach Hause. Da war es sogar besser, die Spätnachrichten zu machen, dann kam sie zwar erst sehr spät abends raus, hatte aber dafür am nächsten Vormittag frei. Diese Zeit konnte man gut nutzen.
Verdammt, Ísrún hatte vergessen, dass Ívar heute und morgen die Redaktionsleitung innehatte. Ihr Verhältnis war ziemlich distanziert, zumindest kam es ihr so vor. Er war vor zwei Jahren eingestellt worden, als sie gerade versucht hatte, nach ihrem Master als Psychologin Fuß zu fassen. Ein ziemlich toller Hecht – zumindest, wenn es nach ihm ging –, den man der Konkurrenz ausgespannt hatte. Für ihn war Ísrún immer noch eine Anfängerin, obwohl sie zusammengerechnet mehr Erfahrung in den Medien hatte als er, nur über eine längere Zeitspanne und mit Unterbrechungen. Ívar traute ihr die großen Themen nicht zu, und sie merkte, dass sie nicht den notwendigen Biss hatte, um auf den Tisch zu hauen und ihm wirklich etwas entgegenzusetzen. Vielleicht hätte sie sich das früher eher zugetraut, aber jetzt nicht mehr.
Ísrún setzte sich an den Tisch im Besprechungsraum. Ívar saß am Tischende, mit einem kleinen Notizbuch, das er immer bei sich trug, und ein paar Blättern, Meldungen, die entweder bei einem der Redakteure oder in der Mülltonne landen würden.
»Ísrún, hast du schon was aus dem Bildmaterial vom Sommerfest zusammengebastelt?«
Lag da ein Hauch von Ironie in seiner Stimme? Weil sie immer die Boulevardthemen bekam?
Oder war sie vielleicht einfach zu misstrauisch?
»Nein, das wollte ich heute machen. Ich liefere dir was für heute Abend. Zwei Minuten?«
»Nee, eineinhalb. Höchstens.«
Ihre Kollegen hatten inzwischen am Tisch Platz genommen, das Morgenmeeting hatte begonnen. Ein neuer Nachrichtentag brach an.
»Habt ihr heute Morgen auch die Luftverschmutzung gemerkt?«, fragte Kormákur, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und knabberte an seinem Bleistift. Er wurde meistens Kommi genannt, weil er diesen Spitznamen nicht ausstehen konnte.
»Ja, das ist bestimmt Vulkanasche, die bis in die Stadt weht. Die hat sich wohl bei dem Ausbruch angesammelt«, sagte Ívar.
»Und ich dachte, der Ausbruch wäre zu Ende«, meinte Kormákur. »Dann können wir das ja noch zu einer Meldung verbraten!« Er grinste.
»Ísrún, checkst du das mal ab? Strick eine lockere Meldung daraus. Der Vulkanausbruch kehrt zurück, kommt nach Reykjavík, okay? Etwas in der Art.« Ívar lächelte. Überheblich, fand sie.
»Wenden wir uns den wichtigen Themen zu«, sagte er dann.
Genau
– sie schaute ihn genervt an.
»Heute Morgen wurde in Nordisland nicht weit von Sauðárkrókur eine Leiche gefunden, bei irgendeinem Neubau, aber das ist alles noch nicht bestätigt. Kommi, kannst du dir das mal ansehen? Wird auf jeden Fall die erste Meldung heute Abend sein, es sei denn, der Vulkan bricht tatsächlich noch mal aus.«
Kormákur nickte. »Wird gemacht.«
Es würde also doch kein ereignisloser Tag werden. Außer für sie natürlich.
3 . Kapitel
Unglaublich, dass Ari Þór Arason es tatsächlich so lange bei der Polizei in Siglufjörður ausgehalten hatte. Es war fast zwei Jahre her, seit er in den Norden gezogen war, direkt nach dem Abschluss der Polizeischule und nachdem er sein Theologiestudium geschmissen hatte. Der erste Winter war die reine Hölle gewesen, und der viele Schnee schien es nur darauf abgesehen zu haben, ihn zu ersticken. Der erste Sommer war dann das absolute Gegenteil, warm und hell, und jetzt hatte er schon den zweiten Winter überstanden. Die Einsamkeit und die Dunkelheit machten ihm immer noch zu schaffen, aber man gewöhnte sich an alles. Dennoch war es eine Erleichterung, die Sonne wieder sehen zu können. Der Juni war angebrochen, und ein paar warme Tage hatte Ari bereits hinter sich, aber der Sommer ließ länger auf sich warten als im Südland, was in diesen nördlichen Gefilden ja nicht anders zu erwarten war.
Tómas, der Polizeiwachtmeister von Siglufjörður, hatte am Morgen angerufen und ihn gebeten, etwas früher als verabredet zu kommen. Aris Dienst fing eigentlich erst mittags an, aber er war schon um neun Uhr losgegangen. Tómas hatte am Telefon nicht viel gesagt, aber besorgt geklungen. Allerdings war er in der letzten Zeit meistens frustriert, weil er nicht damit einverstanden war, dass seine Frau zum Studieren nach Reykjavík gezogen war. Niemand rechnete damit, außer vielleicht Tómas selbst, dass sie zurück nach Siglufjörður käme.
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