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Todesnähe

Todesnähe

Titel: Todesnähe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. J. Tracy
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Während sie lautlos die wenigen Stufen zum Oberdeck erklomm, ging ihr nur kurz die Frage durch den Kopf, was sie dort wohl erwartete und ob das überhaupt eine Rolle spielte.
    Seebeine. Anfangs war ihr der Ausdruck so fremd vorgekommen wie ein exotisches Gericht, doch jetzt, nach den letzten Monaten, wusste sie genau, was man darunter verstand und auch dass sie, Grace MacBride, solche Seebeine hatte.
    Umhüllt von fast undurchdringlicher Dunkelheit trat sie auf das Teakholz-Deck, die nackten Beine weit gespreizt, um das Gleichgewicht zu halten, denn selbst leichter Seegang konnte einen ins Wanken bringen, wenn man nicht daran gewöhnt war. Zum Glück stand Grace fest auf ihren guttrainierten Seebeinen, unsichtbar für die Eindringlinge, die dem Sternenlicht nicht trauten. Sie hatten Taschenlampen dabei, die Schwachköpfe, die ihre Absichten nur allzu klar erhellten, Grace aber, solange sie sich nicht vom Fleck rührte, außerhalb der künstlichen Lichtkegel verborgen ließen.
    Sie hatten nicht gehört, wie sie die Stufen hinaufgestiegen war, und das Boot auch nicht nach weiteren Passagieren abgesucht, wussten also nicht, dass sie da war. Das war gut so; das war sogar ganz hervorragend, sie waren nämlich zu zweit, und um beide zu überwältigen, musste Grace das Überraschungsmoment nutzen.
    Früher war die Kleidung immer ihr wichtigster Schutz gewesen: Grundsätzlich schwarz, hatte sie sie vom Hals bis zu den Füßen umhüllt, ihren Körper und ihre Angst verborgen. Nun stand sie hier, barfuß, mit nackten Beinen in einem kurzen Nachthemd, reglos und ruhig und ohne jede Furcht. Was für ein unglaubliches Gefühl!
    Ein paar Sekunden lang beobachtete sie die Männer noch, um sicherzugehen, dass es nicht doch nur ein paar harmlose Vertreter waren, die einfach mal mitten in der Nacht auf einem Boot fünfzehn Kilometer vor der Küste vorbeischauen wollten. Dann sah sie, wie sie John packten, sah die Klinge an seiner Kehle aufblitzen, und es war Zeit, den Beobachtungsposten zu verlassen.
    Als der erste Schuss fiel, sprang Charlie, der Wunderhund, die Stufen herauf, obwohl sie ihm befohlen hatte, unten zu bleiben. Knurrend, mit gebleckten Zähnen, stand er an Deck, doch Grace hatte den Abzug der schweren Sig Sauer bereits ein zweites Mal gedrückt, und beide Männer bekleckerten das schöne Teakholz-Deck mit ihrem Blut.
    «Schon gut, Charlie.» Grace legte dem Hund eine Hand auf den schmalen Kopf und spürte die Angstschauer, die sie vor nicht allzu langer Zeit noch selbst geschüttelt hätten. John Smith seinerseits brauchte beide Hände, um sich wieder aufzurappeln, und als er schließlich stand, musste er sich an der Reling festhalten, um aufrecht zu bleiben. Erst als Grace dicht vor ihm war, sah sie den Blutstropfen an seinem Hals, wo das Messer bereits zugestochen hatte. Sie tupfte ihn mit dem Finger weg. Er wirkte schwarz im Sternenlicht. «Nur ein Kratzer. Tut mir leid.»
    John atmete keuchend durch den Mund, viel zu schnell und viel zu flach, und sein Hals war kalt und klamm unter ihren Fingern. «Großer Gott, Grace!»
    Grace ließ die Hand auf seine Brust gleiten und spürte, wie es dort hämmerte. «Tief durchatmen. Ganz ruhig. Sonst kriegst du noch einen Herzinfarkt.»
    «Ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber das war das erste Mal, dass mir jemand die Kehle durchschneiden wollte. Großer Gott!»
    «Setz dich.»
    «Nein.»
    «Setz dich hin, bevor dir die Beine wegknicken. Was hast du überhaupt hier oben gemacht?»
    «Sternschnuppen beobachtet.»
    «Ach herrje.»
    Sie griff nach einer der Taschenlampen, die auf dem Deck herumkollerten, und leuchtete den beiden Toten ins Gesicht. «Kennst du die?»
    John betrachtete die Männer. Dunkle Haare, braune Gesichter, die er noch nie gesehen hatte. «Nein.»
    «Was glaubst du? Piraten?»
    John senkte den Kopf. Er musste gegen Übelkeit ankämpfen, keuchte immer noch. «Manchmal … manchmal kapern die Drogenkartelle aus Mexiko Boote für ihren Drogenschmuggel und bringen die Besitzer um.»
    Grace hockte sich hin, betrachtete die beiden Toten genauer und machte sich dann daran, ihre Taschen zu durchsuchen. Sie zog ihre Brieftaschen hervor, sah die Ausweise und ein paar Zettel durch, die im Fach für die Scheine steckten, und warf die Brieftaschen dann auf einen Teil des Decks, der nicht blutverschmiert war. «Das sind aber keine Mexikaner. Sie sind aus Saudi-Arabien, beide mit Studentenvisum.»
    John zuckte die Achseln. «Die Kartelle arbeiten bei ihren

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