Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
»Und da will ich mir einen der vorderen Plätze sichern«, fügte er
hinzu und räusperte sich. »Also, wie kann ich dir helfen?«
»Okay, wenn
du es so eilig hast, will ich dir nicht länger als nötig auf die Nerven gehen«,
sagte der Kriminalbeamte.
Kollmenter
wippte ungeduldig mit dem Fuß. »Na, dann frag mich doch jetzt einfach«, drängte
er.
»Ich erwarte
einen ganz wichtigen Brief, Werner.« Der Leiter des K 1 fuchtelte wild mit den Armen
herum. »Aber keinen privaten«, erläuterte er. »Es handelt sich um eine dienstliche
Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet. Deshalb muss ich wissen, um wie viel
Uhr morgens die Postsendungen in der Hauptpost eintreffen.«
»Zwischen
fünf und halb sechs.«
»Sind die
Briefe dann schon sortiert?«, fragte Tannenberg. »Ich meine in die einzelnen Zustellbezirke?«
Kollmenter
nickte. »Ja, das schon, aber jeder einzelne Briefträger muss natürlich seine Post
noch nach Straßen- und Hausnummern ordnen.«
»Klar. Und
wie lange dauert das?«
»Etwa um
6 Uhr sind wir damit fertig und dann geht’s ab auf die Fahrräder«, ein breites Grinsen,
»damit die Tannenbergs rechtzeitig ihre Post erhalten.«
»Okay, Werner,
das war’s eigentlich schon. Vielen Dank für die Auskunft.«
»Gern geschehen«,
entgegnete Kollmenter und machte einen Schritt zurück.
»Ich bin
dann morgen früh rechtzeitig bei dir in der Hauptpost«, verkündete Tannenberg. »Und
viel Spaß bei deinem Vortrag.«
»Den hab
ich bestimmt.«
Auf dem
Weg zu seinem Elternhaus informierte der Kriminalbeamte seine Kollegen darüber,
dass er sich gerade dazu entschlossen hatte, die am nächsten Morgen eigentlich auf
9 Uhr anberaumte Frühbesprechung aus zwingenden Gründen zwei Stunden vorzuverlegen.
Mertel bat er, sich ab 6 Uhr in seinem Labor zur spurentechnischen Analyse des Entführerbriefs
bereitzuhalten.
In der folgenden Nacht machte Tannenberg
kaum ein Auge zu. Jedes Mal, wenn er beinahe wegdämmerte, projizierte ihm sein pulsierendes
Gehirn sofort dieses blutende Spinnennetz mit der klaffenden Fleischwunde auf seine
innere Leinwand. Auch wenn er krampfhaft versuchte, an etwas anderes zu denken,
es nutzte nichts: Das Kino in seinem Kopf ließ ihn einfach nicht zur Ruhe kommen.
Irgendwann
war er völlig durchgeschwitzt und stellte sich unter die Dusche. Um Johanna nicht
noch mehr zu belästigen, legte er sich im Wohnzimmer auf die Couch und las in einem
Kriminalroman. Aber er konnte sich nicht auf den Inhalt konzentrieren, denn andauernd
sprangen ihm zwischen den Zeilen kleine Springteufelchen mit quälenden Fragen entgegen.
Wo befindet
sich Jessica? Was hat dieser Mistkerl alles mit ihr angestellt? Was hat er noch
vor mit ihr? Will er sie weiter quälen und foltern? Am Ende gar töten? Was für ein
perverses Spiel will dieser Psychopath mit der Polizei spielen? Welche Rolle fällt
mir dabei zu? Warum hat er diesen Brief ausgerechnet an mich adressiert?
Egal, wie
intensiv er auch darüber nachgrübelte, auf keine dieser Fragen fand er zum gegenwärtigen
Zeitpunkt eine Antwort. Auch wenn ihm diese bleierne Tatenlosigkeit fast den Verstand
raubte, konnte er zurzeit nichts anderes tun, als sich auch weiterhin in Geduld
zu üben.
Inständig
hoffte er darauf, dass entweder der Täter einen Fehler beging oder ihn Kommissar
Zufall, zum Beispiel in Form eines sachdienlichen Hinweises aus der Bevölkerung,
auf die Spur des Entführers und potenziellen Mörders führen würde.
Aber etwas
wurde ihm in dieser unruhigen Nacht immer klarer: Es musste einen direkten Zusammenhang
zwischen der Ermordung des Joggers und Jessica Hellmanns Entführung geben. Die Spurenlage
am Tatort ließ nach seiner Einschätzung kaum einen anderen Schluss zu: Bei Jessicas
Entführer und Dennis Richters Mörder musste es sich um ein und dieselbe Person handeln.
Sehr wahrscheinlich
war der junge Queidersbacher Fußballspieler ein Zufallsopfer. Womöglich war der
Jogger bei seinem Waldlauf mitten in die Entführung hineingeplatzt. Vielleicht hatte
er versucht, der Studentin zu helfen, und sein selbstloses, mutiges Einschreiten
war ihm zum Verhängnis geworden.
Wenn tatsächlich
dieser Zusammenhang existierte, musste man davon ausgehen, dass es sich bei dem
Täter um einen äußerst brutalen und skrupellosen Verbrecher handelte, der auch vor
einem Mord nicht zurückschreckte. Und was dies für Jessica Hellmann bedeutete, mochte
Tannenberg sich nicht ausmalen.
»Ach, Kurt,
manchmal könnte ich an meinem Job regelrecht
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