Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
finde.«
Der eingeschüchterte
Postbedienstete geleitete Tannenberg zu einem riesigen Raum, der beim ersten Anblick
an einen pulsierenden Bienenstock erinnerte. Schätzungsweise 60 oder 70 gelb-schwarz
gewandete Briefträger standen an ihren Tischen und sortierten mehrere tausend Postsendungen
aus großen, gelben Plastikkörben in ihre mit Posthörnern dekorierten Zustelltaschen.
Tannenberg
schaute sich suchend um, entdeckte Werner Kollmenter aber nicht.
»Wo ist
denn Ihr Kollege Kollmenter?«, fragte er seinen Begleiter.
Der Portier
streckte einen Arm aus und erklärte: »Da rechts hinter der Säule hat sich der Werner
versteckt. Der ist immer froh, wenn er sich ein bisschen von den anderen absetzen
kann.« Er machte eine abschätzige Geste. »Der war schon immer ein Eigenbrötler.«
Tannenberg
bedankte sich und ging an den hektisch sortierenden Briefträgern vorbei zum angegebenen
Betonpfeiler, wo ihn der Gesuchte bereits erwartete.
»Guten Morgen,
Wolf«, begrüßte ihn Kollmenter freundlich. »Ich hab eure Post schon rausgelegt«,
verkündete er und wies mit dem Kinn auf die rechte Ecke seines Arbeitstisches. »Einen
Brief für dich, zwei für Johanna von Hoheneck und Kaffeefahrten-Werbung für deine
Eltern. Willst du alles gleich mitnehmen?«
»Nee, ich
brauche nur meinen Brief, den Rest kannst du ganz normal zustellen«, entgegnete
Tannenberg, während er seine Plastikhandschuhe überstreifte. »Ich gehe jetzt eh
nicht mehr nach Hause, sondern direkt ins K 1.«
»Was, die
Kripo fängt morgens auch schon so zeitig an?«
»Ja, manchmal
schon«, antwortete der Ermittler.
Mit spitzen
Fingern hob er das braune DIN-A4-Kuvert vorsichtig an einer Ecke in die Höhe. Begleitet
von den erstaunten Blicken des Postbeamten schob er den Brief in eine durchsichtige
Asservatentüte und inspizierte ihn eingehend von allen Seiten.
Tannenbergs
Adresse hatte der Absender maschinell auf die Vorderseite gedruckt. Das Kuvert war
ordnungsgemäß frankiert und vom Briefzentrum Ludwigshafen abgestempelt, in dem auch
die in Kaiserslautern eingeworfenen Postsendungen bearbeitet wurden. Wie erwartet,
fanden sich auf dem Briefumschlag keinerlei Angaben zum Absender.
Tannenberg
entdeckte ein Wasserglas. »Ist das deins?«, wollte er wissen.
»Ja.«
»Dann sei
so gut und nimm es mal in die Hand.«
Werner Kollmenter
warf die Stirn in Falten. »Warum denn?«
»Wegen deiner
Fingerabdrücke. Die braucht die Kriminaltechnik zum Abgleich mit den anderen, die
sich möglicherweise auf dem Kuvert sicherstellen lassen.« Der Leiter des K 1 machte
eine wegwerfende Handbewegung. »Wobei ich ehrlich gesagt keine große Hoffnung habe
…« Den Rest verschluckte er.
Währenddessen
hatte der Briefträger die Anweisung befolgt.
Tannenberg
steckte das Glas in einen weiteren Asservatenbeutel. Dann legte er dem Postboten
des Musikerviertels eine Hand auf die Schulter. »Danke, Werner, du hast mir sehr
geholfen.«
»Keine Ursache,
das hab ich doch gern gemacht«, gab Kollmenter zurück und wechselte das Thema: »Der
Vortrag gestern Abend war übrigens Spitze. Den hättest du dir ruhig auch anhören
können.«
»Welcher
Vortrag?«, fragte Tannenberg. Er hatte gar nicht richtig hingehört, denn er war
gedanklich mit Spekulationen über den möglichen Inhalt des Kuverts beschäftigt.
»Der von
Rüdiger Nehberg.«
»Und, war
er gut?«
»Ja, hab
ich doch gerade gesagt.«
»Ach so,
ja. Freut mich sehr für dich, dass der Vortrag gut war«, grummelte der Kriminalbeamte
und verabschiedete sich mit einer Geste.
Anschließend
machte er sich auf den Weg zu seiner am Pfaffplatz gelegenen Dienststelle. Wie gerne
hätte er das Kuvert geöffnet, aber dann würde ihm Mertel den Kopf abreißen.
Als Wolfram Tannenberg wenig später
im Labor der Kriminaltechnik erschien, hatte Mertel bereits alle notwendigen Vorbereitungen
zur spurentechnischen Begutachtung des Entführerbriefes getroffen. Die Männer begrüßten
sich mit einem dahingeknurrten »Moin«, dann drückte der Kriminaltechniker seinem
Kollegen die Tageszeitung in die Hand und schob ihn in einen Nebenraum, wo auf einem
freigeräumten Schreibtisch eine Thermoskanne mit Kaffee und zwei Croissants den
Leiter des K 1 erwarteten.
»Mensch,
Karl, du bist ja fürsorglicher als meine Mutter«, freute sich Tannenberg.
»Das ist
keine Fürsorge, sondern reiner Selbstschutz. Wenn du Nervensäge neben mir stehst,
kann ich nämlich nicht arbeiten.«
Tannenberg
kehrte die Handflächen nach außen.
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