Todesnetz: Tannenbergs zwölfter Fall (German Edition)
»Okay, okay, Karl, ich hab’s kapiert: Du arbeitest
ungestört und ich frühstücke derweil und lese in aller Ruhe Zeitung.« Er grinste
breit. »Gar nicht schlecht, das können wir gerne öfter so machen.«
Nach einer
knappen Viertelstunde ertönte Karl Mertels tiefe Stimme aus Richtung des Labors:
»Du kannst kommen, Wolf. Ich hab alles, was ich wollte. Jetzt können wir das Kuvert
öffnen.«
Der Leiter
des K 1 eilte zu seinem Kollegen, der gerade behutsam eine Rasierklinge in eine
Ecke der zugeklebten Lasche schob.
»Mach zu,
Karl«, drängte Tannenberg, der es vor Spannung kaum mehr aushielt. »Es wird schon
keine Briefbombe drin sein.«
»Dein Wort
in Gottes Ohr«, seufzte der Kriminaltechniker.
Mertel ließ
sich nicht aus der Ruhe bringen und ging weiter ausgesprochen vorsichtig zu Werke.
Nachdem er endlich das Kuvert auf voller Länge aufgeschlitzt hatte, führte er eine
Pinzette ein und zog in Zeitlupentempo einen rechteckigen Pappkarton heraus.
»Ein aufgeklebtes
Spinnennetz«, stieß der Leiter des K 1 verwundert aus, als er die dicken Klebstoffwülste
sah, in die menschliche Haare eingelassen waren. Anschließend verfrachtete er das
Fundstück in einen Asservatenbeutel. »Mit einem aufgemalten roten Kreuz in der Mitte.«
»Sieht irgendwie
aus, als ob die Haare in Bernstein eingeschlossen wären«, meinte der Spurenexperte.
»Wahrscheinlich
hat dieser perverse Mistkerl genau das beabsichtigt, denn deine Assoziation passt
exakt zu dem beigefügten Text«, sagte Tannenberg. Er nahm den Beutel an sich und
las vor.
»›Ein britischer
Forscher hat in einem Bernstein das älteste bekannte Spinnennetz der Welt entdeckt.
Der Fund offenbart, wie Spinnen ihre Netze zu Zeiten der Dinosaurier bauten. Der
Paläobiologe Martin Brasier von der Universität Oxford schätzt das Alter des Fundes
auf 140 Millionen Jahre.
Unter dem
Mikroskop untersuchte Brasier die etwa einen Millimeter langen Fäden. Das fossile
Spinnennetz habe eine ähnliche Struktur gehabt wie die heutigen Spinnennetze, sagte
Brasier. Die Fäden seien in einer runden Struktur miteinander verknüpft, wie man
sie von heutigen Spinnennetzen her kenne. Dies beweise, dass Spinnentiere schon
seit dem Zeitalter der Dinosaurier ihre Beute in Netze einspannen.
Zwar glauben
Spinnenexperten, dass Spinnen auch schon früher Netze bauten – beweisen ließ sich
das bislang aber nicht, denn normalerweise hinterlassen die feinen Seidenfäden keine
fossilen Spuren. In Bernstein hingegen können Netze überstehen.‹ SPIEGEL, Heft 51/2008.«
»Dieser
bescheuerte Spinnenfreak hat doch nicht mehr alle Tassen im Schrank!«, schimpfte
Mertel, normalerweise eher ein ausgeglichener, ruhiger Zeitgenosse, der sich nur
höchst selten zu verbalen Ausbrüchen hinreißen ließ. »Ich wette, dass es sich um
Jessica Hellmanns Haare handelt.«
»Tja, das
befürchte ich auch«, stimmte Tannenberg zu.
Karl Mertel
fixierte seinen Kollegen mit einem stechenden Blick. »Zum DNA-Abgleich brauche ich
natürlich Vergleichsmaterial. Kannst du mir das so schnell wie möglich besorgen?«
»Klar, ich
kümmere mich sofort darum«, antwortete der Leiter des K 1.
Telefonisch
instruierte er Geiger, auf seinem Weg zum Pfaffplatz in der Studenten-WG in der
Pariser Straße vorbeizufahren und vom Freund des Entführungsopfers entsprechendes
DNA-Material zu erbitten.
»Auf was
will uns dieser Irre eigentlich mit dem aufgemalten roten Kreuz hinweisen?«, stellte
Mertel eine naheliegende Frage in den Raum.
»Du meinst
das Kreuz in der Mitte des Spinnennetzes?«
»Sonst sehe
ich weit und breit keins, Wolf«, spottete Mertel.
»Ja, sicher,
Karl, du hast ja recht«, murmelte Tannenberg. Nachdenklich knetet er sein Kinn.
»Wenn ich das nur wüsste.«
»Dieses
gesamte Gebilde sieht irgendwie aus wie eine Zielscheibe«, brachte der Kriminaltechniker
eine weitere Interpretationsmöglichkeit ins Spiel.
»Tja, sieht
ganz danach aus«, pflichtete ihm Tannenberg bei. »Und diese aufgeklebte schwarze
Plastikmücke neben dem Kreuz soll womöglich Jessica symbolisieren.«
Mertel stieß
Luft durch die Nase. »Wahnsinn.«
»Das Opfer
klebt hilflos im Netz und wartet darauf, von der Spinne aufgefressen zu werden.
Was für eine perverse Symbolik!«
Ein paar
Sekunden lang wanderte das Schweigen zwischen den beiden altgedienten Kriminalbeamten
hin und her.
»Jessica
hängt aber nicht im Zentrum des Netzes«, bemerkte der Spurenexperte. »Das ist noch
frei.«
Tannenberg
nickte. »Nur wer soll da hin?
Weitere Kostenlose Bücher