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Todesopfer

Todesopfer

Titel: Todesopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sharon Bolton
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nicht so schwer wie ich, und ich hatte immer noch das Bolzenschussgerät. Noch würde ich nicht aufgeben. Er kletterte auf das Kajütendach und stand dort oben; die Beine gespreizt, um die Balance zu halten, ragte er über mir auf. Der Wind drückte ihm die Kleider an den Leib, so dass die hageren Konturen seines Körpers deutlich zu sehen waren. Sein Gesicht leuchtete weiß vor dem Nachthimmel, und die Zähne hatte er zu einem Lächeln gefletscht. Er sah nicht mehr aus wie ein Wolf. Er sah aus wie ein Dämon.
    Ich wich zurück, bis ich mit dem Rücken an das Steuerrad im Cockpit stieß. Der Inhalt meines Darms verwandelte sich in Brei, und die Muskulatur konnte ihn nicht mehr zurückhalten. Übelriechende Wärme begann meine Beine hinabzurinnen. Beine, die
sich in Strohhalme verwandelt hatten und mich nicht länger tragen wollten. Ich sank auf den Boden des Cockpits.
    Gair hielt etwas in der Hand. Es war ein Stück Kette. Er schwang es herum, und es krachte gegen das Kajütendach. Dann fasste er das andere Ende mit der linken Hand und zog es straff. Es war etwa einen Meter lang, und die Glieder mussten ungefähr einen halben Zentimeter dick sein. Er stand am Rand des Kajütendachs, bereit hinunterzuspringen. Das Boot schaukelte, und er fing sich wieder. Unten glaubte ich Danas Stimme zu hören, die den Notruf wiederholte, den ich vorhin gefunkt hatte. Mir war sogar, als hörte ich das schwache Rauschen und Knistern einer Antwort. Doch es war zu spät – jedenfalls zu spät für mich.
    Direkt Backbord voraus ragte ein dunkler Umriss empor, war für den Bruchteil einer Sekunde noch beängstigender als der Mann, der im Begriff war, sich auf mich zu stürzen. Wieder eine Granitklippe, gefährlich nah. Ich ließ das Bolzenschussgerät fallen und streckte die rechte Hand nach hinten, durch die Speichen des Steuerrads, zu dessen Mitte hin, wo sich, wie ich wusste, die Instrumente befanden. Meine Finger fühlten Knöpfe, und ich fing an, sie wahllos zu drücken. Die Knöpfe gaben piepsend Antwort. Ich wusste nicht, welche es waren, ich musste einfach das Beste hoffen.
    Gair ging auf die Zehenspitzen. Ich griff wieder nach hinten, packte eine Speiche ganz oben im Rad und zog sie mit aller Kraft nach unten.
    Das Boot reagierte; einer der von mir gedrückten Knöpfe hatte den Autopiloten ausgeschaltet, so dass ich wieder die Kontrolle über das Ruder erlangte. Durch die abrupte Wendung kenterte die Motoryacht beinahe. Unten rollten Gegenstände über den Kajütenboden, und ich hörte Dana aufschreien. Gair taumelte, rutschte fast aus, griff nach irgendetwas, um sich festzuhalten, und gewann dann wie durch ein Wunder sein Gleichgewicht zurück.
    Gerade als wir gegen die zehn Meter hohe Granitsäule krachten.

    Als das Boot herumgeschwenkt war, stürzte ich wieder auf den Boden des Cockpits; die Wucht des Aufpralls schleuderte mich rückwärts gegen das Steuerrad. Ich verriss mir die Schultern und verlor fast das Bewusstsein. Mit Augen, die kaum etwas wahrnahmen, sah ich Gair auf mich zuschießen. Sein Blick war fest auf mich gerichtet, und in diesem Sekundenbruchteil sah ich Wut und dann Angst, als er durch die Luft flog und hart gegen das Steuerrad knallte. Ich hörte ein Knacken, das ohne Zweifel von einem brechenden Knochen stammte. Ich zwang mich, mich umzudrehen, als er über dem Steuerrad zusammensackte. Dann warf ihn das unberechenbare Herumschleudern des Bootes abermals herum, so dass er schlaff im Heck landete.
    Ich packte das Steuerrad und zog mich hoch, schob mich darum herum, näher an Gair heran. Er fing an, sich zu bewegen, hob den Kopf. Gegen das Steuerrad gestemmt, trat ich nach ihm; mein Fuß traf, und er rutschte rückwärts. Seine Hand schnellte vor und packte meinen Knöchel. Ich hielt mich mit beiden Händen am Steuerrad fest, hob den anderen Fuß und sprang auf sein Handgelenk. Er ließ los, und ich trat abermals zu. Gair rutschte noch weiter zurück, und ich trat ihn noch einmal, traf ihn diesmal ins Gesicht; bei dem Gedanken, dass ich zu solcher Brutalität fähig war, wurde mir schlecht, aber ich konnte nicht aufhören. Ein letztes Mal stieß ich mit beiden Füßen zu. Ich fiel im Heck zu Boden, während er über Bord glitt.
    Ich weiß nicht, wie lange ich dort kniete und in das Kielwasser hinabstarrte. Ich glaube, ich erwog sogar, mich selbst über Bord

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