Todesopfer
den Shetlands niemals ganz, doch dies war eine der finstersten Nächte, an die ich mich erinnern konnte. Ich schaute mich um, mühte mich ab, alles zu erkennen, in die tiefsten Schatten zu spähen. Es war nichts und niemand im Raum, das oder der nicht dort hätte sein sollen â mit Ausnahme des Geruchs.
Ich atmete zu hastig â flache, schnelle, panische Atemzüge â und zwang mich, langsamer Luft zu holen, richtig durch die Nase einzuatmen, mich zu vergewissern, dass ich es mir nicht nur einbildete. Wie ein Parfümeur, der einen neuen Duft probiert, erforschte ich die Luft um mich herum: SchweiÃ, ganz, ganz schwach, aber unverwechselbar; und eine winzige Andeutung von Zigarettenrauch. Nicht der Geruch eines Rauchers, sondern der
eines Menschen, der vielleicht durch einen verrauchten Raum gegangen ist. Und auch noch etwas anderes, am schwächsten von allen Aromen, etwas, das mich an das Gewürzschränkchen meiner Mutter erinnerte: Zimt vielleicht oder Ingwer. Es war ein Geruch, dem man zwanzigmal am Tag begegnen könnte, ohne sich etwas dabei zu denken. Einfach das normale Alltagsaroma eines normalen Alltagsmannes.
Was zum Teufel hatte das also mitten in der Nacht in meinem Schlafzimmer zu suchen?
In diesem Moment fiel mir noch etwas auf, das nicht stimmte. Die Schlafzimmertür stand ein wenig offen. Es mag seltsam erscheinen, aber ich kann nicht schlafen, wenn um mich herum Türen offen sind. Die Tür zum Flur, die zum Bad, das direkt an unser Schlafzimmer grenzt, selbst die Türen der Kleiderschränke müssen geschlossen sein. Duncan lacht über mich, ich lache sogar selbst über mich, doch bevor ich schlafen gehe, mache ich mit Sicherheit alle Türen zu.
Wie erstarrt verharrte ich auf dem Bett und lauschte so angespannt wie noch nie in meinem Leben. Nichts. Auf dem Schränkchen neben meinem Bett stand ein Telefon, und ich war mir ziemlich sicher, dass die Polizei â zumindest Dana â sofort kommen würde. Doch was genau sollte ich melden? Einen Geruch? Eine Tür, die nicht richtig geschlossen war?
Ich zwang mich, aus dem Bett zu steigen, während ich versuchte, mich daran zu erinnern, was man in einer solchen Situation tat. Lärm machen oder leise sein? Den Hörer abnehmen und lautstark so tun, als riefe man die Polizei? Ich ging zur Tür und zog sie behutsam auf. Der Flur war leer. Vier andere Türen führten von ihm weg, drei gehörten zu weiteren Schlafzimmern, die vierte zum groÃen Badezimmer. Unten scharrte etwas über eine FuÃbodendiele.
Ich eilte ins Schlafzimmer zurück, öffnete die Schranktür und griff auf das oberste Bord. Meine Finger berührten das, wonach ich suchte, und ich holte es herunter. Ich vergewisserte mich, dass der Bolzen gespannt war, und hielt das Ding vor dem Körper, so
wie ich es bei den Leuten im Fernsehen gesehen hatte. Dann ging ich durchs Zimmer, trat auf den Flur hinaus und hielt oben an der Treppe inne. In der Hand hielt ich ein Bolzenschussgerät, mindestens fünfzig Jahre alt, eine plumpe, ineffiziente Waffe aus Eisen und Kupfer. Es hatte meinem GroÃvater gehört und war dazu gedacht gewesen, verletzte oder sehr alte Pferde zu töten, indem ihnen ein zehn Zentimeter langer Metallbolzen direkt ins Gehirn geschossen wurde. Duncan hatte mich oft gebeten, das Ding endlich wegzuwerfen. Ich hatte mich jedes Mal gesträubt, und jetzt war ich froh darum. Es war vollkommen wirkungslos, solange das Ziel nicht nahe genug war, um es zu berühren, doch das wussten die meisten Leute nicht. Ãber eine Waffe zu verfügen, selbst über eine wie diese, gab mir den Mut, die Stufen hinunterzusteigen.
Am Fuà der Treppe befand sich unsere Haustür. Ich überprüfte sie rasch: immer noch zu und abgeschlossen. Dann drückte ich die Tür zum Esszimmer auf und schaute mich um. Nichts zu sehen. Unser Wohnzimmer, auf der anderen Seite des Flurs, war viel gröÃer, drei groÃe Sofas, hinter denen man sich verstecken konnte. Ich machte einen Schritt in den Raum. Und noch einen.
Von weiter unten im Flur hörte ich Lärm, irgendetwas ging zu Bruch, rennende Schritte, eine Tür wurde aufgerissen. Ich stürzte aus dem Wohnzimmer und in die Küche, tastete im Laufen nach dem Lichtschalter. Eine groÃe Glasvase, die ich zu nah am Rand der Arbeitsplatte hatte stehen lassen, war auf dem SteinfuÃboden in tausend Scherben zersprungen. Die
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