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Todespakt

Todespakt

Titel: Todespakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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zu seiner Tochter. Zunächst zog er ein Tuch aus seiner Tasche und wischte ihr damit über die Stirn. Dann gab er ihr zu trinken, wobei immer wieder etwas von der klaren Flüssigkeit aus ihrem Mundwinkel tropfte und einen Fleck auf ihrer Bluse verursachte. Anschließend betrachtete er seine Tochter mit einem Blick, den Chris nur schwer zu deuten wusste. Er erkannte darin eine Mischung aus Liebe, Hingabe aber auch Verzweiflung. Dann fasste sich Bernardi wieder. Er gab ihr einen Kuss und strich ihr mit der Hand liebevoll über den Kopf, worauf das Zucken verschwand.
    Chris sah verstohlen zur Seite. Er kam sich vor wie jemand, der heimlich durch das Schlafzimmerfenster fremder Leute blickte und in deren Privatsphäre eindrang. Es war nicht nur Mitgefühl, das er empfand, sondern auch ein tiefes Verständnis für den Zorn, den Bernardi aufgrund dieses sinnlosen Verlustes verspürte und der ihn zu einem verbitterten Mann hatte werden lassen, der verzweifelt gegen seine Ausweglosigkeit ankämpfte. Wo hörte Gerechtigkeit auf und fing Unrecht an? In diesem Moment hätte Chris keine klare Antwort darauf geben können.
    Kurz darauf saß Bernardi ihm wieder gegenüber. Er schien ein wenig entrückt zu sein, als müsse er sich erst wieder an den Gedanken gewöhnen, dass Chris anwesend war. »Entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber ich bin heute noch nicht dazu gekommen, meiner Tochter ihre Medikamente zu geben. Das bleibt nicht ohne Folgen.« Er lächelte gezwungen. »Wo waren wir stehengeblieben?«
    »Bei den Männern in diesem Haus«, half Chris ihm auf die Sprünge, wobei seine Stimme erstaunlich zurückhaltend klang. »War Ihnen damals schon bewusst, dass es sich um Rechtsradikale handelt?«
    Bernardi seufzte. »Ich will gar nicht abstreiten, dass sich dieses Netzwerk in der Hauptsache aus Menschen solcher Gesinnung zusammensetzt. Aber was unseren Teil davon betrifft, möchte ich behaupten, dass die meisten von ihnen wie ich nur Opfer ihrer eigenen Umstände waren. Verirrte Seelen, die sich zur falschen Zeit mit den falschen Leuten eingelassen haben und für deren Zwecke missbraucht wurden. Wenn Menschen ohnehin nur noch aus Hass bestehen, dann braucht es nicht mehr viel an Überzeugungskraft, um diesen Hass in eine bestimmte Richtung zu lenken. Nur war es für die anderen längst zu spät, das zu begreifen. Sie hatten sich irgendwann auf diesem Kreuzzug verloren, der im Grunde nur ein Akt der Selbstjustiz war.«
    »Unter dessen Opfern sich aber fast ausschließlich Ausländer befanden«, ergänzte Chris.
    »Nicht jeder Fremde, der in dieses Land kommt, ist uns wohlgesonnen, Herr Kommissar. Und nur weil man sich gegen solche Menschen zur Wehr setzen will, ist man in meinen Augen kein Rassist. Sie dürfen mir glauben, wenn ich Ihnen versichere, dass ich in keinster Weise die rechte Gesinnung dieses Netzwerks teile. Mir ging es allein um Gerechtigkeit. Und die ist keine Frage der Rasse. Sie basiert auch nicht auf Sadismus und Folter. Aber wenn man über all das einmal hinwegsieht, war ich zu diesem Zeitpunkt der festen Überzeugung, das Richtige zu tun. Auge um Auge, Zahn um Zahn. So steht es schon in der Bibel, Herr Kommissar. Und wie Sie sehen, liegen Himmel und Hölle oftmals dicht beieinander.«
    Er beugte sich nach vorn und trank einen weiteren Schluck aus seiner Tasse.
    »Erst viel später erfuhr ich durch Rohde von der Mitgliedschaft zweier Männer in einer verbotenen rechten Partei, die nun auf diesem Weg versuchten, die Ziele durchzusetzen, die ihnen politisch verwehrt geblieben waren. Doch da war es für mich schon zu spät.«
    »War Rohde einer der vier Männer?«
    »Nein. Er war nur eine Art Kontaktmann, der uns mit entsprechenden Informationen versorgte, für die er gut bezahlt wurde. Mit den Morden selbst oder deren Planung hatte er nichts zu tun. Das war meine Aufgabe. Und ich erfüllte sie gewissenhaft. Ich hatte endlich wieder ein Ziel. Und dieses Ziel steckte ich immer höher. Die Männer erzählten mir von organisierten Banden, die sich zunehmend in unserem Land breitmachten, und die unter anderem junge Frauen zur Prostitution zwangen, was im Grunde nichts anderes als Vergewaltigung ist. Sie zeigten mir Statistiken und Bilder von geschundenen Frauen, berichteten von anderen Fällen, bis hin zum Mord. Und nebenbei erwähnten sie die Möglichkeit, dass es sich bei den Entführern meiner Tochter ebenfalls um Mitglieder einer solchen Bande handeln konnte. Ich steigerte mich so sehr in meinen Hass hinein, dass

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