Todespakt
auf der ich den Fall meiner Tochter darlegte. Ich wandte mich an die Medien und setzte eine hohe Belohnung auf die Täter aus. Auch beauftragte ich mehrere Detekteien, die den einkommenden Hinweisen nachgingen. Doch das alles war vergebens. Meine Tochter ist am helllichten Tag auf offener Straße entführt worden, doch niemand konnte etwas Entscheidendes zur Ergreifung der Täter beitragen. Was nützt es letztendlich, dass die Welt zu einem Dorf wird, wenn jeder darin wegsieht?«
Er sah auf seine Hände, die er steif in seinem Schoß verschränkt hielt.
»Mein Hass wurde dadurch immer stärker«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. »Und ich fing an, diesen Hass auf andere zu projizieren. Zunächst nur über das Internet. Ich meldete mich unter Pseudonym in einigen Foren an und beschimpfte wildfremde Menschen, die nicht meiner Meinung waren. Später fing ich Streit mit Nachbarn und Freunden an, meist wegen Nichtigkeiten. Ich rastete wegen jeder Kleinigkeit aus, wurde immer unerträglicher. Insgeheim hoffte ich wohl, damit eine Art Ausgleich zu schaffen. Ich wollte diese verdammte Hilflosigkeit in mir besiegen, indem ich mehr und mehr zum Widerling wurde. Hinzu kam die Belastung durch die Pflege meiner Tochter, deren Ausmaß ich vollkommen unterschätzt hatte. Ein Heim kam für mich nicht infrage. Ich hatte bereits meine Frau verloren, ich wollte nicht auch noch ...« Wieder fiel der Blick auf seine Hände. »Ich fand es einfach nicht richtig. Doch als sie sich eines Abends, nachdem ich sie gerade versorgt und bettfertig gemacht hatte, erneut einnässte, da versuchte ich mir tatsächlich vorzustellen, wie es wäre, ihr ein Kissen aufs Gesicht zu drücken.« Die Härte, die sich in seinen Blick gelegt hatte, entwich schlagartig. »Verstehen Sie, Herr Kommissar? Ich habe mir tatsächlich gewünscht, sie wäre tot!« Seine Stimme zitterte und kämpfte gegen die Tränen an, die er mit aller Kraft zurückhielt. »Spätestens da war mir bewusst, dass ich Hilfe brauchte. Herrmann war mir zuvor in einigen Foren empfohlen worden, da er sich auf traumatische Fälle dieser Art spezialisiert hatte. Also meldete ich mich am nächsten Tag bei ihm zur Therapie an. Er hatte bereits durch die Medien vom Schicksal meiner Familie erfahren und war sehr interessiert an meinem Fall. Gleich in der ersten Sitzung erzählte ich ihm von meinen Aggressionen, meinem Hass und von diesem unbändigen Drang nach Genugtuung. Bereits nach dieser ersten Sitzung muss ihm klar gewesen sein, wie tief diese Gefühle in mir verwurzelt waren. Und dass es nur noch ein wenig Überzeugungsarbeit brauchte, um aus mir das perfekte Werkzeug für seine Pläne zu machen. Anstatt mir diesen Hass also zu nehmen, stachelte er ihn unterbewusst weiter an. In den folgenden Monaten verdeutlichte er mir, dass ich nicht der Einzige wäre, dem es so ergangen sei, und berichtete mir von Menschen, die sich nicht einmal mehr in ihre eigenen Häuser trauten, weil sie dort Opfer eines Verbrechens geworden waren. Und von anderen, die selbst Jahre nach der Tat noch traumatisiert waren und unter extremen Ängsten und Schuldvorwürfen litten. Er nannte den konkreten Fall einer Patientin, die brutal vergewaltigt und entstellt worden war, und betonte, dass sich ihr Peiniger bereits wieder auf freiem Fuß befand. Dadurch gelang es ihm, mein Verlangen nach Gerechtigkeit weiter zu schüren.« Er lehnte sich zurück und atmete tief durch. »Der Fall ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein weiteres junges Leben, das bereits im Keim zerstört worden war. Ich fing an, im Internet über den Fall zu recherchieren, und schon bald stieß ich auf einen Namen.«
»Lara Neuroth«, ergänzte Chris, der sich ansonsten bewusst im Hintergrund hielt.
Bernardi nickte. »Ich ging in dieses Tierheim, in dem sie arbeitet, und gab vor, mich für einen Hund zu interessieren. So kamen wir ins Gespräch. Ich erwähnte beiläufig, dass ich bei Herrmann in Behandlung war und dass er mir die Anschaffung eines Hundes zu therapeutischen Zwecken empfohlen hätte. Das war natürlich gelogen, aber damit hatte ich das Eis zwischen uns gebrochen, denn ich merkte schnell, dass sie Fremden gegenüber sehr misstrauisch war. Doch dann erzählte sie mir, sie kenne Herrmann schon seit Jahren, und versicherte mir, ich wäre bei ihm in guten Händen. Sie verriet mir auch, dass sie sich in ihren Sitzungen oft über Vögel unterhielten, insbesondere über die Aufzucht von Raben, für die Herrmann wohl eine gewisse Vorliebe
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