Todespakt
auch nützlich machen und seinen Arsch hierher bewegen.«
27
»Erstaunlich«, meinte Klose etwa eine Stunde später vor der Magnetwand in Chris' Büro und betrachtete fasziniert die beiden Aufnahmen von Bondeks Fundort.
»Was ist denn mal wieder so erstaunlich?«, fragte Chris, den Kloses intellektuelles Versteckspiel zu nerven begann.
»Die Konsequenz, mit der die Täter ihr Rollenspiel betreiben«, erwiderte Klose. »Das ist beachtlich. Sie scheinen sich mit dem Thema ausführlich beschäftigt zu haben.«
»Tja«, meinte Chris bissig, »möglicherweise handelt es sich bei einem von denen ja um einen Kollegen von Ihnen, der genauso fanatisch auf diesen ganzen Bullshit ist.«
Klose hielt seinen Blick weiterhin auf die Aufnahmen gerichtet. »Ein derartiges Wissen kann man sich auch über Bücher oder das Internet aneignen. Dazu muss man kein Geschichtsexperte sein.«
»Und wofür brauchen wir Sie dann?«
Klose lenkte seinen Blick auf Chris. »Ich bin hier, um ihnen die Zeit für aufwendige Recherchen zu ersparen. Und da ich Experte auf diesem Gebiet bin, dürfen Sie mir eine gewisse Faszination für diese Art der Vorgehensweise nicht verübeln. Normalerweise beschäftige ich mich ausschließlich mit der Vergangenheit.«
Chris betrachtete ihn finster. »Bitte entschuldigen Sie, dass ich Ihre Begeisterung nicht teile, denn es ist ein Mensch, der da quasi ans Kreuz genagelt wurde.«
»Sie irren sich mal wieder«, meinte Klose nüchtern. »Was Sie auf diesen Bildern sehen, hat nicht das Geringste mit einer Kreuzigung zu tun. Diese antike Art der Hinrichtung wurde noch zu Zeiten des Römischen Reiches abgeschafft und im Mittelalter durch das Rädern ersetzt, das, wie wir alle wissen, nicht weniger qualvoll war.«
»Himmel nochmal«, brauste Chris auf. »Haben Sie eigentlich kein bisschen Mitgefühl? Wir sind hier nicht auf einer Ihrer Vorlesungen, sondern wir reden hier von realen Menschen und realen Qualen.«
Klose gab sich leicht irritiert. »Der Holocaust war auch real, Herr Kommissar. Wenn darüber in Schulen gelehrt wird, finden Sie das dann auch unangemessen?«
»Herrgott! Sie wissen genau, was ich meine!«
»Nein, Herr Kommissar. Ehrlich gesagt fische ich mal wieder im Trüben, was sie betrifft.«
»Wisst ihr was?«, fauchte Rokko und sprang wütend von seinem Stuhl auf. »Ihr beiden könnt das gerne unter euch austragen. Mir geht euer Gezicke jedenfalls mächtig auf die Nerven! Wenn ihr zu einer Einigung gekommen seid, lasst es mich wissen. Bis es so weit ist, gehe ich in die Kantine frühstücken!« Er schlug im Hinausgehen geräuschvoll die Tür zu.
Betretenes Schweigen.
Es verstrich einige Zeit, bis Chris sich schwerfällig auf Rokkos Stuhl niederließ. »Ich denke, wir sind alle etwas angespannt«, startete er den Versuch einer Entschuldigung und rieb sich erschöpft die Augen. »Fahren Sie fort, Herr Professor.«
Klose nahm die beiden Fotos von der Wand und legte sie vor Chris auf den Schreibtisch. Anschließend schob er einen Stuhl neben den von Chris und setzte sich. »Das Verfahren, welches wir hier sehen«, sagte er und deutete auf die Aufnahmen, »wurde im Mittelalter als Pranger bezeichnet. Der Zweck war eine öffentliche Demütigung. Dazu wurde der Verurteilte auf einem öffentlichen Platz an einen Pfahl oder eine Säule gebunden. Weitverbreitet waren auch der Schandkorb, eine Art Käfig, und der Holzblock, mit Aussparungen für Hände und Kopf des Verurteilten. Der Pranger diente zur Vollstreckung von Ehrenstrafen, durch die das gesellschaftliche Ansehen des Verurteilten zerstört werden sollte.«
Chris schüttelte erschöpft den Kopf. »Ich fange an mich zu fragen, was die Menschen an dieser Epoche so interessant finden.«
»Jedes Zeitalter hat seine Grausamkeiten«, sagte Klose nüchtern. »Kriege, Verfolgung, Massenvernichtung ... die Liste ließe sich beliebig erweitern. Doch nur weil der weiße Mann das Volk der Indianer vertrieben und abgeschlachtet hat, verliert dieser Zeitabschnitt nichts von seiner Faszination des Ursprünglichen. Und genau das sehen die Menschen von heute auch in der Zeit des Mittelalters. Sicher wird auch vieles romantisiert, aber vielleicht sehnt sich manch einer auch wieder nach härteren Strafen und mehr Gottesfürchtigkeit. Dabei ist vielen gar nicht bewusst, dass etliche der damaligen Praktiken auch heute noch Bestand haben, nur in modernerer Form und unter einer anderen Bezeichnung. Das Prinzip des Prangers, also die öffentliche
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