Todespakt
waren, könnten sie ihm von Nutzen sein.
Er stand auf, ging zum Waschbecken und spülte sich den Mund aus. Anschließend betrachtete er sein blasses Spiegelbild, das ihm zunehmend fremder erschien. Er atmete tief durch und wischte sich mit einem Papiertuch den Mund ab. Anschließend verließ er die Toilette und ging die Treppe hinauf zu den anderen.
25
An diesem Freitagmorgen war Rainer Klemens früh auf den Weg in die Redaktion. Er konnte getrost behaupten, schon bessere Nächte gehabt zu haben. Einer seiner Reporter war entführt worden, und es war davon auszugehen, dass er dies nicht unbeschadet überstehen würde. Er gab sich eine gewisse Mitschuld daran, denn er hätte diesem Artikel niemals zustimmen dürfen. Nicht auf diese provokante Art. Es war ein Spiel mit dem Feuer gewesen, und dieses Feuer hatte sie nun überrannt. Immer wieder war er in dieser Nacht aus dem Schlaf aufgeschreckt. Gegen fünf Uhr am Morgen hatte er schließlich aufgegeben und seine Frau alleine im Bett zurückgelassen. Die Redaktion schien ihm im Moment der geeignetere Ort zu sein, gegen seine Unruhe und seine Schuldgefühle anzukämpfen, auch wenn er heute vermutlich der Erste dort sein würde. Womöglich gab es bereits Neuigkeiten und jemand hatte aufgrund ihres Aufrufs entscheidende Hinweise geben können. Den schlimmsten Fall versuchte sein Gewissen sich gar nicht erst auszumalen. Denn die Wahrscheinlichkeit lag durchaus hoch, dass er am heutigen Tage einen Artikel über den Tod eines Mitarbeiters verfassen musste. Daher verdrängte er diese Variante, solange noch keine Gewissheit darüber bestand.
Die breite Straße im Industriegebiet wirkte an einem Samstagmorgen um diese frühe Zeit befremdlich leer. Es hatte etwas Beklemmendes, als er sich den dunklen Konturen des Redaktionsgebäudes näherte, das an dieser Stelle die benachbarten Bauten deutlich überragte. Klemens hielt die Chipkarte bereit, die er für die elektronische Schranke benötigte. Als er in die Zufahrt steuerte, deren tunnelartiger Verlauf durch das Hauptgebäude in den geräumigen Innenhof des Komplexes führte, senkte sich lautlos das Fahrerfenster, und er führte die Karte in das Lesegerät des Terminals ein. Kurz darauf fuhr die Schranke wie gewohnt nach oben ... und Klemens traute seinen Augen nicht. Die Chipkarte glitt aus seinen zitternden Fingern und fiel zu Boden, während er wie paralysiert auf die Schranke vor sich sah. Denn was dort im Scheinwerferlicht seines Autos auftauchte, ließ ihn vor Entsetzen erstarren.
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Als der Anruf kam, war Chris bereits wach. Er saß in der Küche von Rebeccas Wohnung und trank seine zweite Tasse Kaffee. Er hatte das Präsidium am Vorabend erst nach dreiundzwanzig Uhr verlassen. Dennoch wollte er nach diesem Tag nicht alleine sein. Der Schlüssel zu Rebeccas Wohnung kam ihm daher sehr gelegen. Er hatte sich leise in ihr Schlafzimmer geschlichen, sich an ihren schlafenden Körper geschmiegt und ihre Wärme gespürt. Dieses Gefühl von Nähe hatte nach diesem Tag etwas Reinigendes für ihn. Sofort waren seine Gedanken zur Ruhe gekommen, und keine fünf Minuten später war er eingeschlafen. Doch der Albtraum, der ihn quälte, beendete diese kurze Phase der Erholung viel zu früh. Selbst Minuten, nachdem er aufgeschreckt war, hatte er noch immer das Bild von Bondeks verstümmelter Leiche vor Augen, das sein Unterbewusstsein in ihm heraufbeschworen hatte. Einen kurzen Moment lang war er sich nicht klar, ob es wirklich nur ein Traum oder eine Vorsehung gewesen war. Zwar glaubte er nicht an derlei Dinge, doch hinterließ dieses Bild einen seltsamen Druck in seiner Brust, der ihn zwang, das Bett zu verlassen. Er war in die Küche gegangen, hatte Kaffee aufgesetzt und Zerstreuung in ein paar Zeitschriften gesucht. Um kurz nach sieben stieß Rebecca zu ihm in die Küche.
»Guten Morgen«, meinte sie mit belegter Stimme und betrachtete ihn überrascht. »Ich habe dich gar nicht kommen hören.«
»Du hast ja auch geschlafen wie eine Tote«, erwiderte Chris lächelnd, bevor ihm bewusst wurde, dass dieser Vergleich in der momentanen Situation nicht sehr angemessen war.
»Ich bin gestern früh ins Bett«, meinte Rebecca. »Wollte mal ausschlafen. Wann bist du gekommen?«
»Ziemlich spät. Ich wollte dich nicht wecken. Kaffee?«
»Gerne.« Sie gähnte und strich ihr krauses Haar nach hinten.
Chris reichte ihr eine Tasse. »Hast du heute keinen Dienst?«
Sie nahm einen Schluck, bevor sie antwortete.
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