Todesqual: Thriller
Genau wie O. J. Simpsons Handschuh. Ich habe das verdammte Ding verbuddelt, als keiner hingeschaut hat.«
»Fakten sind Fakten«, entgegnete sie. »Und ich habe den Eindruck, dass du dich hier zum Hüter dieser Fakten aufschwingst.«
»Es ist mir scheißegal, ob du sauer auf mich bist. Heute Nachmittag habe ich mit Holts Arzt gesprochen. Dem Psychiater in der Klinik, in der er war. Er hat mir erzählt, Holt sei regelrecht besessen vom Tod deines Bruders gewesen. Er war so fixiert auf den Mord, dass seine Genesung dadurch verzögert wurde. Der Psychiater meinte, Holt habe große Probleme gehabt. Vieles, was er sich von der Seele reden wollte.«
Lena ließ ihn nicht aus den Augen. »Und das ist typisch, wenn jemand schuldig ist, richtig?«
»Ich habe dem Mann doch keine Worte in den Mund gelegt und ihm auch keine Fangfragen gestellt. Als ich ihn anrief und ihm mitteilte, dass Holt tot ist, war es das Erste, was der Kerl gesagt hat.«
»Und was ist mit der unbekannten Toten?«
Er lehnte sich zurück, betrachtete sie kurz und schüttelte dann den Kopf.
Rhodes war wütend und rang sichtlich um Fassung. Lena erinnerte sich an den Moment vor vierzehn Stunden, als sie seine Unterschrift auf der Leihkarte im Zentralarchiv erkannt hatte. Die alte Frau, die ihr die Mordakte gegeben hatte, hatte ihr beim Hinausgehen Glück gewünscht. Während sie nachdachte, hörte sie Rhodes Freundin in der Küche mit Töpfen klappern. Als sie durch die Glastüren spähte, stellte sie fest, dass die Frau sie beim Spülen beobachtete. Lena war ihr schon einmal begegnet. Eine Blondine mit graugrünen Augen und einer kurvenreichen Figur. Heute schien sie schlechte Laune zu haben. Ihre Blicke trafen sich, und die Frau wandte sich ab.
»Es war ein langer Tag«, sagte Lena. »Ich hatte ganz vergessen, dass du heute Morgen zu Barrera gemeint hast, Holt wäre neidisch gewesen. Vermutlich ist das ein guter Grund, seinen besten Freund zu erschießen.«
Rhodes nahm Holts Tagebuch und suchte nach der markierten Seite. »Lies das. Und dann erzähl mir, was im Kopf dieses Typen vorging.«
Er schob das Notizbuch zu ihr hinüber und deutete auf einen Eintrag. Als Lena das Notizbuch betrachtete, stellte sie fest, dass es eher ein Skizzenbuch war. Holt hatte zwar Tagebucheintragungen gemacht, aber auch gezeichnet oder Erinnerungsstücke neben das Geschriebene geklebt. Als sie zu lesen begann, wurde ihr klar, dass der Eintrag von dem Tag stammte, an dem ihr Bruder Holt die Ballade vorgespielt hatte. Die Geschichte von Lena und David Gamble, zwei Bankräubern auf der Flucht. Holt schilderte seine Gefühle beim Hören des Liedes. Er hatte sich den Text notiert und sofort verstanden, dass das Verbrechen nur eine Metapher für das Leben bedeutete, in das Lena und David hineingeboren waren und das sie miteinander teilten. In gewisser Weise war es ein Liebeslied, und Holt fand es so schön, dass er von Selbstzweifeln ergriffen wurde. Er beschrieb seinen Zorn, nachdem er das Lied gehört hatte. Er hatte sich deprimiert und wie ein Versager gefühlt und den Drang unterdrücken müssen, den Schmerz mit einem Schuss Heroin zu betäuben. Die Wut auf seinen Bandkollegen, weil David Gamble alles zuzufliegen schien, während er sich immer hatte anstrengen müssen.
Lena blickte von dem Tagebuch auf und bemerkte, dass Rhodes sie anstarrte. Anfangs wirkten seine Augen noch sanft, wurden aber sofort wieder eiskalt. Als er sich abwandte, trat die Narbe an seinem linken Ohrläppchen schärfer hervor. Sie sah eher wie ein X als wie eine Stichwunde aus.
»Du verstehst das alles ganz falsch«, sagte sie.
Er schlug die Beine übereinander und rauchte wortlos.
»Mein Bruder hat sich genauso über Holt geäußert«, fuhr Lena fort. »Dass ihm alles viel zu leicht fiele, während er sich abmühte, um Schritt zu halten. Die beiden haben einander angestachelt.«
Das Telefon läutete. Rhodes nahm ab, meldete sich und sagte dann nur noch wenig. Es war ein einseitiges Gespräch, das mit einem nein begann, was hieß, dass er nicht allein sei und deshalb nicht frei reden könne. Lena wandte sich wieder dem Tagebuch zu und blätterte weiter, bis sie auf den ersten Eintrag nach dem Tod ihres Bruders stieß. Inzwischen waren drei Wochen vergangen. Als sie zu lesen begann, wurde ihr klar, dass es nicht Holts eigene Worte waren. Der Text stammte aus Der Malteser Falke von Dashiell Hammett. Sam Spade sprach über die Bedeutung einer Partnerschaft, während er Brigid O’Shaughnessy
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