Todesqual: Thriller
Fall.
Endlich war es vorbei. Holts sterbliche Überreste wurden mit einem Wasserschlauch abgespritzt. Dann nähte ein Assistent seine leere Brusthöhle mit dickem schwarzem Zwirn zu, während Madina begann, den Fall zu erörtern.
»Ich kann an diesem Toten nicht die geringsten Anzeichen für ein Tötungsdelikt entdecken«, verkündete er. »Nichts weist darauf hin, dass hier etwas faul ist.«
Lena trat näher heran und versuchte, den Geräuschpegel im Raum und das Zischen der Insektenfalle auszublenden. Madina konsultierte seine Aufzeichnungen.
»Die von Gainer am Tatort sichergestellten Spuren unter den Fingernägeln ergaben keine menschlichen Hautfetzen. Also kein Indiz dafür, dass der Tote jemanden gekratzt oder sich gewehrt hat. Außerdem fehlen Abschürfungen an den Fingerknöcheln sowie Fesselspuren an Hand- oder Fußgelenken. Auch sein Hals ist unversehrt. Keine Einblutungen um die Augen oder unter den Lidern, und als wir ihn aufgeschnitten haben, war auch das Zungenbein intakt. Er wurde weder gewaltsam festgehalten noch erwürgt. Tut mir leid, dass die Resultate Ihre Theorie nicht bestätigen, doch er weist keinerlei Abwehrverletzungen auf.«
»Was ist mit dem Bluterguss am Bauch?«, fragte Novak. »Der sieht frisch aus.«
»Richtig«, stimmte Madina zu. »Vermutlich hat er ihn sich ein oder zwei Stunden vor seinem Tod zugezogen. Aber das kann alle möglichen Ursachen gehabt haben. Sie sagten doch, er habe noch nicht ausgepackt, sodass man sich im Haus kaum bewegen konnte. Vielleicht hat er sich ja gestoßen.«
Lena wechselte einen vielsagenden Blick mit ihrem Partner.
Madina trat näher an die Leiche heran. »Das war das, was wir nicht gefunden haben«, meinte er. »Nun zu unseren Ergebnissen, zum Beispiel den Schmauchspuren. An seiner Haut wurde genug davon festgestellt und auch bereits vom Labor bestätigt, was beweist, dass seine linke Hand die Pistole abgefeuert hat. Als wir das Blut von seinem Gesicht entfernten, haben wir Spuren des Mündungsfeuers an seiner linken Wange entdeckt. Verbrennungen an Kinn, Lippen und Zunge. Meiner Vermutung nach hat er sich die Mündung etwa fünf Zentimeter vor den Mund gehalten und dann abgedrückt. An der Todesursache besteht nicht der geringste Zweifel.«
Novaks Mobiltelefon läutete. Er kramte es aus dem OP-Anzug hervor und musterte die LCD-Anzeige. »Lieutenant Barrera«, flüsterte er, während er es aufklappte. Das Telefonat dauerte kaum dreißig Sekunden. »Wir müssen zurück ins Parker Center«, verkündete er danach.
»Was ist mit der Unbekannten?«, erkundigte sich Madina.
»Die müssen Sie sich allein vornehmen. Wir reden über die Ergebnisse, wenn Sie fertig sind.«
Da Novak einen Mundschutz trug, war es schwierig, seiner Miene etwas zu entnehmen. Allerdings konnte Lena seine Augen sehen, und als er ihr mitteilte, die DNA-Resultate der Unbekannten seien da, musste sie wegen seines Tonfalls zweimal überlegen, was er damit meinte. Dazu kamen sein Blick und sein bedeutungsvolles Nicken. Die DNA-Resultate. Es klang eher wie: Sie haben es geschafft, Lena. Die Inszenierung ist perfekt.
Sie ließen Madina im Autopsiesaal zurück, schlüpften aus den OP-Anzügen und hasteten die Hintertreppe hinunter und aus dem Gebäude.
»Gib mir den Schlüssel«, sagte Novak. »Ich fahre.«
»Was wollte Barrera?«
»Genau das, was wir gedacht haben.«
Nachdem Lena Novak den Schlüssel zugeworfen hatte, stieg sie ein und atmete einen tiefen Zug frischer Los-Angeles-Luft ein. Während Novak am Wachhäuschen vorbei in Richtung Innenstadt raste, blickte sie aus dem Fenster und betrachtete die schier endlose Parade von Obdachlosen, die sich, in Lumpen gehüllt, über die Gehwege schleppten. Der amerikanische Traum hatte eine Hintertür, schoss es ihr durch den Kopf. Und wenn man die ins Kreuz bekam, stand man ziemlich schnell draußen.
»Eigentlich ist es ja keine Überraschung, Lena. Wir haben es schon letzte Nacht vermutet.«
Sie sah Novak an. »Warum machst du dann ein so besorgtes Gesicht?«
»Weil wir nicht wissen, wer unser Mann ist und wem wir noch vertrauen können. Wir haben es mit einem Dreckskerl aus den eigenen Reihen zu tun, der momentan alle Hebel in Bewegung setzt.«
Diese Aussage fasste es gut zusammen, dachte sie. Und damit nicht genug, denn nun würde eine falsche Version des Tathergangs in den Akten landen, als wäre sie in Stein gemeißelt: Romeo hatte die unbekannte Frau getötet. Holt hatte ihren Bruder umgebracht und Selbstmord begangen.
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