Todesqual: Thriller
zwinkerte ihr aus dem Jenseits zu. Auch Romeo erschien. Sie erinnerte sich, dass seine schemenhafte Gestalt an ihr Bett getreten war. Er war ein Hüne und absolut haarlos. Allerdings hatte sie in der Dunkelheit sein Gesicht nicht erkennen können. Nur zwei Augen, die sie aus der Finsternis anfunkelten. Im nächsten Moment war sie mit klopfendem Herzen hochgeschreckt und wach geblieben, bis die Sonne über der Stadt aufging und die Schatten vertrieb.
Madina griff nach seinem Klemmbrett und überflog seine Notizen. »Halten Sie Tim Holts Tod denn nicht für einen Selbstmord? Davon steht aber nichts im vorläufigen Bericht. Laut Gainer war es eindeutig Suizid.«
»Wir sind hier«, erwiderte Novak, »um uns über die verschiedenen Alternativen zu informieren.«
»Soll das heißen, wir könnten es auch mit einem Mord zu tun haben?«
Lena räusperte sich. »Wir haben Grund zu dieser Annahme. Außerdem darf man nichts von vorne herein ausschließen.«
Nach einem Blick zu Novak folgte sie Madina durch den Autopsiesaal zu den beiden Leichen, die bereits auf Edelstahlbahren lagen. Im selben Raum fanden gleichzeitig fünf Autopsien statt. Als Lena die unbekannte Tote betrachtete, wurde ihr klar, dass sie ihr Gesicht noch nie gesehen hatte, und sie stellte überrascht fest, wie jung sie noch war und wie unschuldig sie gewesen sein musste. Kein Wunder, dass Holt sie begehrt hatte. Dann drehte sie sich zu Holts nackter Leiche um und versuchte, nicht darauf zu achten, dass ein Assistent direkt hinter ihnen dem Mitglied einer Jugendbande die Schädeldecke aufsägte.
»Gab es Kampfspuren im Haus?«, fragte Madina. »Soll ich auf etwas Bestimmtes achten?«
Novak schüttelte den Kopf. »Unseres Wissens nach nicht. Allerdings war es ein schwieriger Tatort. Man konnte sich kaum bewegen. Holt war gerade erst eingezogen und hatte keine Gelegenheit mehr zum Auspacken.«
Madina nickte. Die Herausforderung schien ihm Spaß zu machen. »Dann schauen wir mal.«
Er begann seine Untersuchung damit, dass er Holts Hände einer gründlichen Musterung unterzog. Lena erinnerte sich an die Schmauchspuren. Da diese sehr flüchtig waren, hatte Ed Gainer sie bereits am Tatort sichergestellt. Lena fragte sich, ob es das war, was Madina vorhin in seinen Unterlagen nachgeschlagen hatte.
»Seine Fingerkuppen weisen starke Schwielen auf«, stellte der Gerichtsmediziner fest und sah Lena an. »Er war Linkshänder, richtig? Und er hat nicht nur Keyboard gespielt, sondern auch ein wenig Gitarre.«
Sie erwiderte seinen Blick, erstaunt, dass er wusste, was Holt von Beruf gewesen war. »Ja«, erwiderte sie. »Er war Linkshänder.«
Medina betrachtete Holts Handgelenke und Fußknöchel und musterte einen kleinen Bluterguss am Oberbauch. »Tut mir leid, dass ich nicht früher zurückkommen konnte«, sagte er. »Seine Band wollte ein neues Album herausbringen. Ich habe mir letzte Woche Auszüge daraus auf der Webseite angehört. Ich bin ein Fan«, fügte er, an Lena gewandt, leise hinzu.
Sie verstand, was er meinte, und nickte. Dann traten sie und Novak vom Tisch zurück. Die nächsten beiden Stunden sah Lena zu, wie Madina und zwei Assistenten die Leiche ihres Freundes sezierten. Dabei war das Wichtigste, nicht schwach zu werden. Nicht zusammenzuzucken, als der Pathologe mit dem Skalpell einen Y-förmigen Einschnitt in Holts Brust vornahm. Nicht auf das Geräusch zu achten, wenn wieder ein Insekt, das von den Leichen angezogen wurde, im elektrischen Fliegenfänger verglühte und hungrig sterben musste.
Um sich abzulenken, grübelte Lena weiter über den Fall nach. Würden die drei Frauen von Burells Webseite, die sie nicht erreicht hatten, zurückrufen? Was war eigentlich der Unterschied zwischen Romeo und der Person, die David erschossen hatte? Waren nicht beide gleichermaßen gefährlich, auch wenn einer von ihnen unter Zwang und der andere aus freien Stücken tötete? Lena sah zu ihrem Partner hinüber und bewunderte seine Kraft und Entschlossenheit. Letzte Nacht war sie so aufgewühlt gewesen, dass sie ganz vergessen hatte, sich nach Novaks Tochter zu erkundigen. Als sie sich heute Morgen bei ihm entschuldigt hatte, hatte er gesagt, er habe in einem Versteck in ihrem Zimmer Crack gefunden, könne jedoch erst etwas unternehmen, wenn sie nach Hause käme. Ihre bisherigen Ausflüge in die Drogenszene hatten meist einen oder zwei Tage gedauert. Manchmal sogar bis zu einer Woche. Und dennoch stand Novak heute hier neben ihr und arbeitete an diesem
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