Todesqual: Thriller
haben Sie sie geschlagen?«
Er wandte sich ab und versuchte, ihrem Blick auszuweichen. »Nur das eine Mal«, flüsterte er.
»Nur das eine Mal«, wiederholte Lena. Es war nicht mehr als eine Vermutung gewesen, aber sie hatte es geahnt. »Laut Autopsiebericht wog Ihre Frau fünfundvierzig Kilo. Sie würde ich auf etwa einhundert schätzen. Haben Sie sie mit der Faust geschlagen?«
Er setzte zu einem Nicken an, hielt aber inne. »Es war falsch von mir. Ich wollte es nicht.«
»Das glaube ich Ihnen. Haben Sie eine Beratungsstelle aufgesucht?«
»Das war überflüssig. Ich brauchte mich nur daran zu erinnern, wie sie gestürzt ist. Sie wollte sich nicht von mir aufhelfen lassen. Am Arm hatte sie einen Bluterguss und noch einige größere blaue Flecke an Schulter und Hüfte. Sechs Wochen hat es gedauert, bis sie verheilt waren. Ich sah es jedes Mal, wenn sie duschen ging.«
Novak beugte sich vor und verschränkte die Hände auf der Tischplatte. »Sie haben Recht, mein Junge, das klingt alles so perfekt .«
Brants Blick wurde verschlossen. Seine Augen verwandelten sich in zwei konzentrierte Lichtstrahlen ohne Ausdruck. Als er die Zigarette in den leeren Becher fallen ließ, hörte Lena die Glut zischen.
»Arschloch«, sagte er und zeigte mit dem Finger auf Novak. »Ich habe sie geliebt, und dass ich sie geschlagen habe, war ein Fehler. Man darf andere Menschen nicht wegen eines einzigen Fehlers verurteilen. Ein Fehler ist eine einmalige Angelegenheit. Deshalb heißt er Fehler.«
»Würden Sie einen Mord auch als Fehler bezeichnen?«, fragte Novak.
Brant sprang auf und wollte sich auf ihn stürzen. Als Novak ihn mit einem kräftigen Schubs zurück auf den Stuhl beförderte, fing er an zu schreien.
»Für wen halten Sie sich, verdammt? Ich habe alles getan, um Ihnen zu helfen. Jetzt will ich meinen Anwalt sprechen, zum Teufel.«
Die Zauberworte waren gefallen.
Jetzt will ich meinen Anwalt sprechen, zum Teufel.
Lena stand auf. »Wer ist Ihr Anwalt, Mr. Brant?«
»Buddy Paladino.«
14
B uddy Paladino öffnete die Glastür, die zum Büro des Captain führte, und ließ sein Eine-Million-Dollar-Lächeln aufblitzen, das breite Fletschen seiner überkronten Zähne, das mittlerweile sein Markenzeichen geworden war. Wie Lena vermutete, war dieses Lächeln im Laufe der letzten zehn Jahre in jeder Zeitung und jedem Fernsehsender des ganzen Landes zu sehen gewesen. Es handelte sich um einen Reflex, der sich nicht an eine bestimmte Person richtete. Weit gefehlt, Paladino präsentierte dieses Meisterstück der zahnärztlichen Kunst jedem, der zufällig in seine Richtung schaute. Es war ein Lächeln, aber gleichzeitig auch eine Warnung, wie bei einem Haustier, das zwar zahm zu sein scheint, aber zubeißt, sobald man es streicheln möchte.
Die gesamte Mannschaft und Lieutenant Barrera hatten inzwischen über eine Stunde im Büro des Captain gewartet. Bei ihnen war Roy Wemer, der für diesen Fall zuständige Staatsanwalt. Captain Dillworth selbst befand sich auf einer Urlaubsreise und unternahm mit seiner Frau eine Mittelmeerkreuzfahrt, um sich für die nächste Mordsaison zu stärken, die für gewöhnlich im Juni begann. Doch auch wenn der Captain in der Stadt war, wurde das Büro regelmäßig von den Detectives benutzt und war nie abgeschlossen. In diesem Raum stand, mit der einen Seite an den Schreibtisch geschoben, der einzige Konferenztisch im zweiten Stock. Auch die Fallakten wurden hier aufbewahrt, eine Bibliothek gebundener Aktendeckel, die jeden Mord im Landkreis, zurückreichend bis ins neunzehnte Jahrhundert, dokumentierte. Lena fand diese Akten faszinierend und studierte sie, wann immer sie ein paar Minuten Zeit hatte oder eine kleine Pause brauchte. Die Unterlagen waren in zwei Kategorien geordnet. Bei der ersten handelte es sich um eine chronologische Liste der Fälle, die mit der Hand fortlaufend ergänzt wurde. Neben dem Namen des Opfers stand eine Seitenzahl, anhand derer man eine Zusammenfassung des Tathergangs finden konnte. Diese Zusammenfassungen, nie länger als ein oder zwei Absätze, führten die wichtigsten Einzelheiten des Verbrechens auf. Beim Lesen musste Lena jedes Mal daran denken, wie sehr die Welt sich verändert hatte. Offenbar hatte im Rahmen des Vormarsches des so genannten technischen Fortschritts auch die Anzahl der mordlustigen Wahnsinnigen zugenommen. Zwischen 1899 und 1929 hatten sämtliche Morde in ein einziges Buch gepasst – seit den Sechzigerjahren wurde jedes Jahr eine neue
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