Todesqual: Thriller
Kladde benötigt.
Lena beobachtete, wie der Verteidiger sich auf dem freien Platz am Kopfe des Konferenztischs niederließ. Er trug das kurz geschorene schwarze Haar so ordentlich gekämmt, dass es wie auf den schmalen Schädel aufgemalt aussah. Anzug und Hemd waren offensichtlich maßgeschneidert. Sie bemerkte die manikürten Fingernägel, die seidene Krawatte und die goldene Armbanduhr und überlegte, wie viel Geld Buddy Paladino wohl allmorgendlich brauchte, um sich präsentabel herzurichten.
Vermutlich mehr, als mein Auto wert ist, dachte sie. Womöglich gar das Doppelte.
Es war zehn Uhr an einem Samstagmorgen. Paladino war mit der ersten Maschine aus San Francisco in Los Angeles eingetroffen. Vor einer Stunde und fünfzehn Minuten war er ins Parker Center gerauscht, hatte Kaffee und Croissants für seinen Mandanten bestellt und dann die Tür von Raum zwei hinter sich zugezogen. Nun saß er ihnen mit überkreuzten Beinen gegenüber, von Kopf bis Fuß ein Mann, der es genoss, ein Publikum zu haben. Wer die Zuschauer waren, war ihm Lenas Einschätzung nach herzlich gleichgültig. Sogar ein mit Polizisten überfüllter Raum genügte.
Buddy Paladino hatte sich nach den Aufständen des Jahres 1992 einen Namen als Verteidiger gemacht. Die meisten seiner Mandanten der Anfangstage waren sozial Schwache, der Großteil der Fälle an den Haaren herbeigezogen. Seine erste Zielscheibe war die Polizei, was den Steuerzahler Hunderte von Millionen Dollar in Form von Schadensersatzleistungen kostete. Obwohl er sich mit seinem Verhalten im Gerichtssaal hart an der Grenze des Erlaubten bewegte, gab es an seinen Verfahrensstrategien nichts auszusetzen. Im Präsidium kursierte das Gerücht, die juristische Fakultät von Harvard werde ihm im nächsten Jahr eine ganze Seminarreihe widmen, und zwar mit dem Titel »Wie ein Fallbeil: Der Strafverteidiger in der freien Wildbahn«.
Als Paladinos Name immer öfter in den Schlagzeilen erschien, hatte er seine Taktik geändert und vertrat nun nur noch Mandanten, die sich seine inzwischen astronomischen Honorare auch leisten konnten. Lena erinnerte sich an einen seiner Fälle vor fünf oder sechs Jahren. Ein College-Student war beschuldigt worden, mit seinem Wagen in eine Menschenmenge hineingerast zu sein, und zwar in einer Straße, die wegen eines Oktoberfests gesperrt gewesen war. Drei Menschen kamen ums Leben, fünfzehn weitere wurden verletzt. Ein Bluttest ergab, dass der Junge hinter dem Steuer synthetisches Heroin geschnupft hatte. Ein Zeuge hatte das Verbrechen auf Video aufgenommen, und mehr als zehn Personen, auch der Mitbewohner des Täters, sagten aus, dass es Absicht gewesen sei. Allerdings war der Vater des Jungen Vorstandsvorsitzender der TEC Energy Group. Schon in der Nacht, als sein Sohn verhaftet wurde, schrieb er Buddy Paladino den ersten Scheck aus. Aller Beweise zum Trotz schoss sich Paladino auf das Auto und den Reparaturzustand des Fahrzeugs ein. Der Mechaniker, in dessen Werkstatt der Wagen gewartet wurde, führte zwar eine erfolgreiche Firma, war jedoch trockener Alkoholiker. Der Anwalt verwendete seine regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe, um den Ruf des Mannes in den Schmutz zu ziehen. Nachdem Paladino eine Teilschuld auf das Auto seines Mandanten abgewälzt hatte, wandte er sich den Straßenverhältnissen zu und stieß tatsächlich auf ein Schlagloch, das ihm außergewöhnlich tief erschien. Nach Abschluss seiner Beweisführung erschien das Verbrechen wie ein Fall von höherer Gewalt, sodass die Geschworenen den Jungen für nicht schuldig erklärten – ein Urteil, das bis auf die Familien der Opfer niemanden überraschte. Zwei Jahre später stand der Vater des Jungen selbst vor Gericht, und zwar wegen des Vorwurfs, er habe für Betriebsrenten bestimmte Gelder auf ein Konto auf den Bahamas umgeleitet. Dank Paladino kam auch er mit einem blauen Auge davon. Die gegen ihn verhängte Geldstrafe war zwar hoch genug, um in den meisten Wirtschaftsblättern Schlagzeilen zu machen, wurde vom Angeklagten jedoch aus der Portokasse beglichen.
Buddy Paladino war also ein ganz besonderer Anwalt, und seine Anwesenheit löste in Lena Beklemmungen aus. Der Mann war aalglatt, aber außerdem hochintelligent. Ganz gleich, wie wasserdicht ein Fall der Staatsanwaltschaft auch auf dem Papier erscheinen mochte, Paladino war ein Genie, wenn es darum ging, eine Schwachstelle zu entdecken, die Anklage vor den Geschworenen in ihre Bestandteile zu zerlegen und den
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