Todesqual: Thriller
aus der Leichenhalle, in dem die Erinnerung an Nikki Brants Autopsie von vor vier Tagen mitschwang.
Sie trank den Kaffee aus, um den schlechten Geschmack hinunterzuspülen, und stellte fest, dass sie aufgehört hatte zu zittern.
Warum hatte Tim Holt angerufen?
Bei längerer Überlegung wurde ihr klar, dass sie in Wahrheit aus diesem Grund hergekommen war. Warum hatte der beste Freund ihres Bruders versucht, sie zu erreichen?
Lena ließ den Wagen an und gab Gas. Dabei spürte sie, wie Wut in ihr aufstieg. Sie wollte zuschlagen. Etwas kaputthauen. Vernichten. Stattdessen wendete sie den Wagen und fuhr davon.
34
» D u siehst spitze aus«, sagte Okolski. »Wie lange ist es her, Lena? Drei Jahre?«
Warren Okolski war Chef von Blue Moon Records, der Plattenfirma, die David Gamble und Tim Holt unter Vertrag genommen und ihrer Karriere auf die Sprünge geholfen hatte. Okolski hatte alle drei Alben produziert und war oft bei Lena und David zu Besuch gewesen. Außerdem hatte er offenbar ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Zuletzt hatte Lena Okolski wirklich vor drei Jahren getroffen, und zwar zufällig auf der Strandpromenade in Santa Monica. Die Begegnung hatte zu einem Abendessen, einigen Drinks und einer Partie Darts in einem obskuren Pub geführt.
Sein Gesicht rötete sich, als er sich hinter seinem Schreibtisch erhob. Seine Assistentin, eine junge Blondine, schien sich zu wundern, dass ihr Chef sich tatsächlich freute, eine wildfremde Frau zu sehen, die ohne Termin bei ihm hereinschneite und deren Name ihr kein Begriff war.
»Das ist Lena«, stellte Okolski sie vor. »David Gambles Schwester.«
Obwohl der Groschen endlich gefallen schien, machte das Mädchen noch immer einen leicht konsternierten Eindruck. Lena nahm an, dass es mit der Pistole an ihrem Gürtel zu tun hatte. Doch das kümmerte sie nicht. Sie fiel Okolski um den Hals, denn sie hatte ihn schon immer gemocht und seine Gesellschaft genossen.
»Kann ich dir etwas anbieten?«, fragte er. »Kaffee, Wasser, alles, was du willst. Dein Wunsch ist mir Befehl.«
Aus Erfahrung wusste sie, dass sein Angebot ernst gemeint war, schüttelte aber dennoch den Kopf. Als die Assistentin mit einem giftigen Blick auf Lenas offenen Blazer hinausging, wies er sie an, keine Anrufe durchzustellen.
»Setz dich und sag mir, was los ist«, forderte er Lena dann auf.
Lena ließ sich auf dem Sofa nieder. Es gefiel ihr gar nicht, Überbringerin einer Hiobsbotschaft zu sein. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und griff nach einer Mineralwasserflasche. Als sein Blick auf den Computerbildschirm fiel, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen.
»Was ist denn so komisch?«, fragte Lena.
»Meine Assistentin hat mir gerade eine E-Mail geschickt.«
»Und was steht drin?«
»Dass du bewaffnet und gefährlich bist, weil du eine dicke Kanone bei dir hast.«
Sie lachten. Während Okolski sich in dem Ledersessel auf der anderen Seite des Couchtischs niederließ, versuchte Lena, sich zu beruhigen.
»Wann gibst du dich endlich geschlagen, Lena. Mein Angebot steht noch. Wenn du einen Job willst, hast du ihn. Hoffentlich bleibst du zum Mittagessen.«
»Ich glaube, ich kann nicht.«
Okolski musterte sie fragend und fuhr dann zusammen, als dämmere ihm endlich, dass da etwas im Argen lag. Der Musikproduzent war Ende dreißig, mager und hochgewachsen. Seine Augen wirkten eher golden als braun, und er hatte ein weiches, entspanntes und absolut faltenloses Gesicht. Das hellbraune Haar trug er in einem Pferdeschwanz. Lena hatte ihn noch nie anders als in Jeans und schwarzem T-Shirt gesehen. Seinen Erfolg verdankte Warren Okolski seinem Gehör. Blue Moon Records galt als alternatives Label, weil die meisten der dort unter Vertrag stehenden Musiker keine Musikvideos aufnahmen und sich nicht am Massengeschmack orientierten. Zum Pech für die Musik als Kunstform lagen die Standards in der Branche jedoch inzwischen so niedrig, dass man Okolskis Philosophie als eigenbrötlerisch, ja, sogar als merkwürdig betrachtete. Für Okolski war es nämlich zweitrangig, wie ein Musiker vor der Kamera aussah. Außerdem arbeitete er grundsätzlich nicht mit Sängerinnen und Tänzerinnen zusammen, die bei den Cheerleadern besser aufgehoben gewesen wären. Ihm ging es einzig und allein um die Musik und die Weiterentwicklung eines Stils. Im Laufe der Jahre hatte sich sein Faible für das Entdecken neuer Musikrichtungen bezahlt gemacht, denn mittlerweile beneideten ihn alle großen Plattenfirmen der
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