Todesqual
Lieutenant Barrera, wobei er tat, als wäre Staatsanwalt Wemer gar nicht vorhanden.
»Ich hatte Gelegenheit, mit dem jungen Mann zu sprechen«, begann er. »Ja, in der Tat. Zudem habe ich die Aussage gelesen, die Ihre tüchtigen Mitarbeiter aufgenommen haben, bevor er von seinem Recht Gebrauch machen konnte, mit seinem Anwalt zu sprechen.«
»Einen Moment, Herr Anwalt«, fiel Barrera ihm ins Wort. »Er hat auf dieses Recht verzichtet. Das haben wir auf Video.
Als er einen Anwalt verlangte, haben wir sofort angerufen. Vor sieben Stunden.«
»Ja, ja«, erwiderte Paladino. »Ein unglücklicher Zufall, dass ich in San Francisco war, als ich die Nachricht erhielt. Der Flug wurde wegen Nebels verschoben. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Lieutenant. Bei Ihnen allen.«
Lieutenant Barrera war ein gradliniger Mensch. Er hatte als Streifenpolizist angefangen und war aufgestiegen, gerade weil er sich so gut wie möglich aus Bürointrigen herausgehalten und die dazugehörigen Spielchen gemieden hatte. Er war gerecht und ein guter Menschenkenner und genoss, soweit Lena es beurteilen konnte, die Unterstützung und den Respekt seiner Untergebenen. Allerdings war Frank Barrera ein viel beschäftigter Mann und hatte es deshalb gern, wenn sein Gegenüber rasch auf den Punkt kam. Buddy Paladino hingegen war ein Tänzer, ein Magier, der von der Straße stammte und das Hütchenspiel bis zur Perfektion beherrschte. Aus der verschlossenen Miene ihres Vorgesetzten schloss Lena, dass Barrera kurz davor stand, die Geduld zu verlieren. Außerdem war ihm dieser Mensch offenbar zutiefst unsympathisch. Lena, die dem Anwalt noch nie persönlich begegnet war, konnte vor Neugier den Blick nicht von ihm abwenden.
»Beschwert sich Ihr Mandant über die Behandlung?«, erkundigte sich der Staatsanwalt.
»Ich bin nicht ganz sicher, Mr. Wemer, ich bin nicht ganz sicher. Mr. Brant sagte mir, er habe auf sein Recht verzichtet, weil er dachte, er solle als Zeuge, nicht als Beschuldigter vernommen werden. Der junge Mann hatte keinen Grund zu der Annahme, dass er verdächtigt wurde, und wollte alles tun, um zu helfen.«
Paladino betonte das Wort helfen und sah dabei Lena an. Hätte er einen Hut getragen, sie war sicher, dass er ihn gezogen hätte.
»Wo liegt dann das Problem, Herr Anwalt?«, fragte Barrera.
Paladino räusperte sich erneut. »Offenbar möchte sich der junge Mann einem Lügendetektor-Test unterziehen.«
Lange Zeit herrschte Schweigen. Barrera und Wemer lächelten. Paladino ebenfalls, wenn auch aus einem anderen Grund. Ganz im Gegensatz zu Lena. Als sie Novak und Rhodes anblickte, waren deren Mienen ebenfalls ernst. Etwas war da im Busch. Ein Trick, von dem sie nichts ahnten und den sie nicht hatten kommen sehen. Noch nie hatte sie davon gehört, dass ein Verteidiger - insbesondere einer von Paladinos Format - einem von der Polizei durchgeführten LügendetektorTest zustimmte, ohne zuvor selbst einen Fachmann mit einer solchen Untersuchung zu beauftragen.
»Natürlich habe ich ihm davon abgeraten«, fügte Paladino hinzu, »aber er besteht darauf. Anscheinend ist der junge Mann von seiner Unschuld in sämtlichen Anklagepunkten überzeugt und möchte mögliche Widersprüche zwischen seiner Aussage und den Aussagen anderer Personen aus der Welt schaffen und alle offenen Fragen klären. Sicher ist jedem in diesem Raum bekannt, was geschieht, wenn die Presse von dieser heiklen Situation Wind bekommt, insbesondere wenn man die Ähnlichkeit mit anderen Fällen bedenkt, die derzeit Schlagzeilen machen. Der junge Mann möchte betonen, dass er sich vor nichts und niemandem versteckt. Ganz im Gegenteil will er nach Kräften mit Ihren tüchtigen Leuten zusammenarbeiten, um den armen Teufel zu finden, der dieses grausige Verbrechen begangen hat.«
Paladino war wirklich aalglatt. Aus unerklärlichen Gründen fiel Lena ein, dass ihr Auto einen Ölwechsel brauchte.
»Die Ermittlungen stehen noch ganz am Anfang«, erwiderte Barrera ruhig. »Mr. Brant hat deshalb genug Möglichkeit, sich von dem Verdacht zu befreien. Ein Lügendetektor-Test wäre da sehr hilfreich.«
»Sicher ist Ihnen bewusst, Lieutenant, dass Sie auf der Grundlage der derzeitigen Beweislage nicht das Recht haben, Mr. Brant gegen seinen Willen festzuhalten. Seine Anwesenheit und Mitarbeit sind absolut freiwillig. Deshalb wird er, unabhängig vom Ergebnis, nach dem Test mit mir durch diese Tür gehen.«
Barreras Blick glitt zur Tür und wieder zurück. Er nickte.
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