Todesqual
Regen eine Stunde vor Einbruch der Dunkelheit. Ihre Haut war so weich und glatt, dass er jedes Mal eine Erektion bekam, wenn sie einander zufällig im Labor streiften. Allerdings galt dasselbe manchmal auch für ihre Blicke. Dieser träge Schimmer, den sie in ihre Augen zaubern konnte. Die Ringe, die sie an Daumen und Zeigefinger trug. Die Art, wie sie durchs Labor ging und dabei versuchte, ihr Hinken zu verbergen.
Harriet Wilson war zwar über zehn Jahre jünger als Fellows, aber im selben Monat geboren. Sie war eine reizende,
achtundzwanzigjährige Stier-Frau, beherrscht vom Planeten Venus und in der Liebe bewandert. Am kommenden Freitag würde sie ihren Geburtstag feiern. Fellows hatte es sich am Wochenende notiert und den Zettel an ihre Akte geheftet, die neben seinem Bett lag. Die Akte enthielt mehrere Fotos und außerdem Kopien ihrer Personalunterlagen, die er eines Abends, als alle schon nach Hause gegangen waren, aus dem Büro stibitzt hatte. Er wollte Harriet etwas Besonderes schenken, obwohl sie nicht an seinen Geburtstag am letzten Donnerstag gedacht hatte.
Eine große männliche Kakerlake in der Hand, umrundete Harriet den Tisch.
Gromphadorhina portentosa. Die zischende Madagaskar-Schabe.
Das zehn Zentimeter lange Insekt schien seinen Tod vorauszuahnen, denn es zischte sie an und duckte Kopf und Fühler unter den Brustkorb, sodass die Brust wie ein großer Kopf wirkte, der den Gegner verscheuchen sollte. Als Fellows die Schabe beobachtete, dachte er an den Schmerz, den zu erdulden man ihn in der letzten Donnerstagnacht gezwungen hatte. Nikki Brants Gesichtsausdruck, als sie zum Versuchstier herabgestuft worden war.
»Sie merken es immer«, meinte Harriet, drehte die Schabe um und strich ihr über den Bauch.
Fellows wählte ein Skalpell aus und nickte. »Ja, das glaube ich auch. Wir wollen ihn in den Versuchskasten legen.«
Harriet setzte das Insekt in die Luftschleuse. Als sie die Hände in das zweite Paar in die Glasscheibe eingelassene Handschuhe steckte, spürte Fellows, wie ihre Hüfte ihn streifte. Doch er sparte sich das Gefühl für später auf.
Von den dreitausendfünfhundert bekannten Arten erhoffte man sich ausgerechnet von der Madagaskar-Schabe die noch fehlende Zutat für den optimalen Apfel. Das große Insekt stammte, wie der Name sagte, aus Madagaskar, einer
Insel im Indischen Ozean vor der Ostküste Afrikas. Es hatte den Vorteil, geruchlos zu sein und bis zu einem Monat ohne Nahrung auskommen zu können. Oft als lebendes Fossil bezeichnet, erreichte es die Größe einer Ratte und wies starke Ähnlichkeit mit den Kakerlaken auf, die lange vor dem Auftreten der Dinosaurier die Erde bevölkert hatten. Fellows hatte das Gen isoliert, das die Schabe widerstandsfähig gegen Hitze machte, und es in verschiedene Apfelsorten eingeschleust, immer in der Hoffnung, dass die Pflanze irgendwann in tropischem Klima gedeihen würde. Die ersten Experimente waren erfolgreich gewesen. Allerdings war Fellows noch nicht mit der Farbe der Apfelschale zufrieden, an der dringend noch etwas getan werden musste. Ihm schwebte ein roter Apfel mit zebraähnlichen Streifen vor. Auf diese Weise würde er den Apfel sofort erkennen, falls die Frucht je in den Handel kommen sollte, und ihn nicht versehentlich kaufen oder gar verspeisen.
Auch wenn er Molekularbiologe war, würde er niemals so weit gehen, etwas zu essen, das aus dem Labor kam. Nicht einmal, wenn »Bio« auf dem Aufkleber stand.
Die Schabe im Glaskasten zischte sie an, wiegte den Kopf hin und her und strampelte mit den Beinen gegen Harriets Hand.
»Es tut nicht weh«, sagte sie beruhigend. »Es tut nicht weh. Ehrenwort.«
Als Fellows’ rasiermesserscharfe Klinge über Brust und Bauch des Insekts glitt, zappelte die Schabe weiter mit den Beinen und zischte. Nachdem er den Chitinpanzer geöffnet hatte, kratzte er mit einem Löffel die Eingeweide heraus und gab sie in eine Petrischale.
»Schau«, meinte Harriet zu der toten Schabe, »es hat gar nicht wehgetan.«
Lächelnd sog Fellows den Duft ihres Körpers ein. Jede wundervolle Nuance ihres Geruchs.
»Und wenn doch«, flüsterte er, »hat es nicht sehr lang gedauert.«
25
D ie Besprechung mit Dr. Bernhardt hatte vor zehn Minuten geendet. Inzwischen scharte sich das Team um Novaks Schreibtisch, während Lieutenant Barrera am anderen Ende des Raums mit Staatsanwalt Wemer telefonierte. Offenbar hatte Wemer erfahren, dass sie im Labor einen direkten Vergleich der in den Fällen López und Brant
Weitere Kostenlose Bücher