Todesqual
Botschaft übermitteln, die trotz allen Heruminterpretierens leider kein Mensch versteht. Vergessen Sie nur nicht, dass alles mit seinem Penis zusammenhängt. Für unseren Romeo sind sein Penis und die Waffen seiner Wahl ein und dasselbe.«
Nun nannte Dr. Bernhardt den Täter zum zweiten Mal in der letzten halben Stunde Romeo. Lena fragte sich, ob der Name wohl an ihm hängenbleiben würde. Nach Barreras Miene zu urteilen, vermutlich schon.
Romeo.
»Meiner Ansicht nach suchen wir einen weißen Mann im Alter zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahren«, fuhr Bernhardt fort. »Einen Voyeur, der vom Vergewaltiger zum Mörder geworden ist.«
Lena schrieb mit, obwohl sie wusste, dass Dr. Bernhardt ihnen das Standardprofil eines Serienmörders lieferte. Ein Mann, der als Kind von seinen Eltern misshandelt worden war. Ein Mann, der wahrscheinlich als Jugendlicher Tiere gequält hatte. Ein ehemaliges Opfer, das sich kein Gehör hatte verschaffen können, bis es schließlich selbst zurückschlug.
»Sicher hat er eine Verletzung erlitten«, sagte Bernhardt. »Er wurde Schmerz oder einem schweren emotionalen Trauma ausgesetzt, das er weder verarbeiten noch verstehen konnte.«
Er warf Lena einen kurzen Blick zu und beugte sich dann wieder über seine Aufzeichnungen.
Dr. Andy Bernhardt war ein kräftig gebauter, engergischer Mann mit klaren grauen Augen, einem kurz geschorenen Bart und einem sonnengebräunten kahlen Schädel. Lena hatte ihn nach dem Mord an ihrem Bruder kennengelernt, als ihr Vorgesetzter sie zu einem so genannten Beratungsgespräch zum Psychiater geschickt hatte. Nur eine Routinebegutachtung. Eine Gelegenheit, die Niedergeschlagenheit zu vertreiben und Abstand vom Beruf zu gewinnen. Doch ganz gleich, was alle auch behaupten mochten, sie wusste, dass diese Gespräche Eingang in ihre Personalakte gefunden hatten.
Beurlaubung aus psychischen Gründen.
Sie ließ sich die Wörter auf der Zunge zergehen, während sie sich an damals erinnerte.
Leider hatte Dr. Bernhardt sich nicht nur dafür interessiert, welche Gefühle der Tod ihres Bruders in ihr auslöste. Für sein Gutachten über ihren Gemütszustand brauchte er weitere Informationen. Eine vollständige Liste aller Verletzungen und dunklen Seiten.
Die Sitzungen - jeden Dienstag- und Donnerstagnachmittag eine Stunde in seiner Praxis in Chinatown - zogen sich über sechs Wochen hin. Lena hatte sich so lange gesträubt wie möglich und dann einfach dichtgemacht. Das lag nicht an Dr. Bernhardt, denn der war trotz seiner hünenhaften Gestalt ein sanfter, zurückhaltender Mensch, den sie inzwischen sogar bewunderte. Das Problem war nur, dass er im Auftrag ihrer Vorgesetzten tätig war und dass er in seiner Funktion als Psychiater eng mit der verhassten Abteilung für Innenrevision und Qualitätsmanagement zusammenarbeitete. Sie war sicher, dass jedes Wort, das sie während der Sitzungen von sich gab, aufgeschrieben und in einer Akte abgeheftet wurde, um es irgendwann gegen sie zu verwenden.
Dr. Bernhardt versicherte ihr zwar, dass ihre Akte niemanden
etwas anginge und nicht in die Hände Dritter geraten würde, doch Lena fiel auf, dass seine Schränke so alt waren wie die Möbel im Parker Center und nicht über Schlösser verfügten. Außerdem hatte, wie sie dem Psychiater erklärte, doch jeder Mensch mit einer ausgeprägten Persönlichkeit das Recht auf zumindest eine Sinnkrise im Leben. Sie würde diese Phase - so wie immer - überstehen. Die Arbeit würde sie sicher ablenken und diesen Prozess dadurch noch beschleunigen. Schließlich stimmte Dr. Bernhard zu, sie schlossen einen Kompromiss, und die letzten beiden Wochen erwiesen sich tatsächlich als hilfreich.
Lena hörte Novak etwas sagen. Die Erinnerung war schlagartig wie weggeblasen. Ihr Partner fragte den Psychiater, warum sich die Vorgehensweisen bei Teresa López und Nikki Brant seiner Ansicht nach unterschieden.
»Seine Methoden ändern sich, weil er sich auch verändert«, erwiderte Bernhardt. »Er entwickelt sich.«
»Wozu?«, hakte Novak nach.
»Zu einem Menschen, der sich nicht mehr im Griff hat, Detective.«
»Was ist mit der fehlenden Zehe?«
Dr. Bernhardt schüttelte den Kopf. »Er hat Spaß an seinen Taten, denkt darüber nach und lernt immer mehr dazu. Sein Problem ist, dass er seinen Appetit nicht zügeln kann. Sein Verhalten ist triebgesteuert. Vermutlich betrachtet er die Zehe als Trophäe oder als Souvenir.«
Lena dachte an die Presse. Ein Blick in die Times von
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