Todesqual
Bett, öffnete die Klappe und war nicht sehr überrascht, als sie den Titel der CD las. Beethovens Achte Symphonie. Die Garcias würden nun nicht mehr umziehen. Jemand hatte ihnen in F-Dur den Garaus gemacht.
Als jemand Lenas Namen rief, trat sie einen Schritt zurück. Offenbar war Novak inzwischen eingetroffen und stand unten an der Tür. Während Sweeney und Banks hinausgingen, um ihn zu holen, wanderte Lenas Blick zum Telefon. Es war mit einem digitalen Anrufbeantworter verbunden. Das Lämpchen blinkte.
Sie schaute noch einmal zur Tür und drückte dann auf WIEDERGABE.
»Tim, ich bin es« , hörte sie eine Stimme sagen. »Tut mir leid, dass ich nicht da war, als du angerufen hast, aber ich arbeite gerade an einem Fall. Vielleicht können wir uns ja nächste Woche treffen. Ich versuche es morgen gegen Mittag bei dir. Wenn nicht, telefonieren wir am Wochenende.«
Die Zeit schien stehenzubleiben. Es schnürte ihr die Brust zu, und im nächsten Moment packte die Angst sie am Nacken und drohte, ihr das Genick zu brechen.
Sie hatte Telefonspielchen mit dem besten Freund ihres Bruders getrieben und absichtlich zu einem Zeitpunkt angerufen, an dem Tim Holt vermutlich nicht zu Hause sein würde. Sie wusste noch, dass sie deshalb ein schlechtes Gewissen gehabt hatte.
Rasch blickte sie zu dem Mann im Sessel hinüber und nahm in Gedanken eine Rekonstruktion des Gesichts vor, das sich hinter der Maske aus getrocknetem Blut verbarg. Die Form seines Kiefers. Die Überreste seiner Nase. Seine Haarfarbe. Im nächsten Moment wurde ihr so heiß, dass ihr ganzer Körper zu glühen schien. Die Punkte verbanden sich miteinander, und heraus kam das Gesicht eines Menschen, den sie kannte.
Die Garcias hatten bereits gepackt und waren ausgezogen. Sie stand vor den neuen Besitzern, die gerade angefangen hatten sich hier einzurichten. Allerdings war ihr Aufenthalt nur von kurzer Dauer gewesen.
Während Lena die sterblichen Überreste des besten Freundes ihres Bruders betrachtete, strich ein Schatten über das Mordhaus. Trotz des Rauschens in ihrem Kopf glaubte sie zu hören, wie Novak, gefolgt von Banks und Sweeney, hereinkam. Sie riefen ihr etwas zu. Dann stürzten sie zu ihr. Lena spürte, dass ihr die Knie nachgaben. Dass ihre Hände den Halt verloren. Dann ein Windgeräusch in ihren Ohren, als sie in den Abgrund fiel.
32
S ie sah müde aus. In sich zurückgezogen. Trotz Make-up waren Augenringe erkennbar. Doch als sie ihm von ihrer Seite des Labors aus zulächelte, schmolz Fellows dahin wie immer. Gerade noch rechtzeitig nahm er sich zusammen und schickte ein Nicken über den Schreibtisch.
Es war ein persönliches Lächeln gewesen. Ein ganz besonderes Lächeln, das mehr zu bedeuten hatte als alles andere. Sie benutzte es nur, wenn Nummer 3 gerade draußen und sie allein mit ihm war.
Fellows beobachtete, wie Harriet den Tisch umrundete. Noch immer versuchte sie, das Hinken zu verbergen. Er fragte sich, ob sie wohl Schmerzen hatte. Trotz allem, was geschehen war, trotz seines Zorns und seiner Wut, wusste er, dass er sie liebte. Er musste sie beschützen. Nach einer Weile beugte er sich wieder über sein Notizbuch und machte einen neuen Eintrag neben Uhrzeit und Datum.
Sieht heute miserabel aus. Wahrscheinlich derselbe Grund
wie immer, wenn auch noch nicht bestätigt. Wieder eine
nächtliche Ficksitzung mit Burell.
Fellows führte im Labor zwei Notizbücher. Eines für seine Experimente, das stets auf der Theke neben dem Mikroskop lag. Und ein zweites, das ganz und gar seinen Beobachtungen in Sachen Harriet Wilson gewidmet war. Dieses war stets im Schreibtisch eingeschlossen und wurde abends zur gründlichen Lektüre mit nach Hause genommen. Fellows schrieb gerne alles auf, um seine Gedanken und Gefühle zu ordnen und neue Ideen von allen Seiten zu beleuchten. Außerdem fiel ihm seit etwa einem Jahr auf, dass er geistig öfter abschweifte als früher. Wenn er sich nicht sofort eine Notiz machte, war der Gedanke häufig auf Nimmerwiedersehen verschwunden.
Er las den letzten Satz noch einmal, strich Burells Namen durch und ersetzte ihn durch die Worte zukünftiger Toter . Obwohl diese Korrektur die Dinge akkurater wiedergab, bemerkte er, dass seine Schrift beunruhigend zittrig wirkte, holte tief Luft und versuchte, sich zu entspannen.
Es war nicht leicht. In den vergangenen zwölf Stunden war
er im Geist verschiedene Szenarien durchgegangen, die alle zum Thema hatten, wie Charles Burell seine letzten Minuten auf Erden
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