Todesreim : Hachenberg und Reiser ermitteln (German Edition)
versuchten Reiser und Simon mit dem durchtrainierten Sebastian mitzuhalten. In der Ferne hörten sie das Martinshorn des angeforderten Streifenwagens. Das Eintreffen eines buntbemalten VW-Busses auf dem Parkplatz nahmen sie nur aus dem Augenwinkel wahr. Sie sahen Sebastian in einen Nebenweg einbiegen und sprinteten hinter ihm her. Sie waren etwa hundert Meter hinter ihm. Als sie um die Ecke bogen, sahen sie ihn vor einem Grab knien. Während sie so schnell sie konnten näherkamen, drehte sich Sebastian mit Tränen in den Augen um.
„Jemand war hier, sehen Sie?“
Reiser und Simon blickten sich suchend um. Simons Blick blieb am Eingang der kleinen efeubewachsenen Kapelle hängen. Die Tür zur Kirche stand weit offen, und aus der Ferne erkannte er Karl Pütz aus der Sonnengartenresidenz. Trotz des Abstandes konnte er erkennen, dass der alte Mann völlig aufgelöst und desorientiert wirkte.
Simon schubste Reiser an und zeigte ihm die Richtung.
„Wir müssen dorthin.“
Reiser nickte, und ohne ein Wort der Erklärung ließen sie Sebastian am Grab seiner Schwester zurück.
„ S perren Sie sofort das Gelände ab und schicken Sie nach einem Krankenwagen!“, teilte Simon den eintreffenden Beamten mit. „Reiser, schau nach, ob es hier einen Hintereingang gibt.“
Simon hatte nur einen kurzen Blick in die Kapelle gewagt. Vollkommen aufgelöst war ihnen Herr Pütz entgegengekommen. Der Schreck saß tief bei dem alten Mann und er murmelte immer wieder die Worte:
„Was macht das Kindchen da bloß, was macht sie da?“ Verwirrt schüttelte er seinen Kopf wieder und wieder.
„Setzen Sie sich hier auf die Bank, Herr Pütz. Alles wird gut, das verspreche ich Ihnen“, sagte Simon zu ihm, doch seine Worte klangen hohl in seinen Ohren, denn noch nicht einmal vor vierundzwanzig Stunden hatte er Viktoria Stein das gleiche Versprechen gegeben. „Bringt jemand den Herrn Pütz nach Hause?“ Es klang mehr wie ein Befehl als eine Frage.
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, stürmte eine Frau keuchend um die Ecke der Kapelle. Mrs. Hazelwood! Verblüfft registrierte Simon, wie ungemein flink die pummelige Dame noch auf ihren Beinen war. Verschwitzt, ihr Gesicht glühte förmlich, und sichtlich nach Luft schnappend lief sie auf ihn zu. In ihren Händen, fest an ihre üppige Oberweite gedrückt, hielt sie einen kleinen Karton.
„Herr Kommissar, Herr Kommissar“, keuchte sie, als sie ihn erkannte.
Alarmiert sprang Simon auf und legte warnend seinen Zeigefinger über seine Lippen, um ihr unmissverständlich klarzumachen, ruhig zu sein.
„Jetzt nicht, Mrs. Hazelwood. Sie bleiben hier bei Herrn Pütz. Und Mrs. Hazelwood, das ist ein Befehl. Sie bleiben genau hier!“
„Aber …“, wollte Molly Hazelwood widersprechen, doch ein Blick in sein Gesicht ließ sie verstummen. Sie nickte fast unmerklich und wandte sich Herrn Pütz zu. Sie hatte verstanden.
Leise betrat Simon die kleine Kirche. Julian stand mit dem Rücken zu ihm und hatte sich schon schrittweise auf die Stelle vorgearbeitet, auf der sich die beiden Mädchen befanden. Mit ruhiger Stimme sprach Julian auf Charlotte, die, wie es Simon erkennen konnte, eine Spritze in der Hand hielt, ein. Annabell rührte sich nicht. Verdammte Scheiße , dachte Simon. Ein unwirkliches Bild, was sich ihnen dort bot. Die zu einem Kreis gelegten Teelichter flackerten, als für einen kurzen Moment ein leichter Wind durch die Kapelle zog . Durchzug , dachte Simon. Hatte Reiser eine Hintertür gefunden?
„Macht, dass ihr wegkommt. Julian, sag deinem Bullenvater, dass er sich besser verpisst, denn hier ist“, und sie hob die Spritze wieder in die Höhe, „etwas drin, was nicht guttut. Also!“, schrie sie jetzt erneut. „Verpisst euch alle, sofort!“
Julian drehte sich zu seinem Vater um. In seinen Augen stand Hilflosigkeit. Aber auch Simon fühlte sich in diesem Moment hilflos. Er wusste, dass sie schnell sein mussten. Er hob die Hand und machte mit den Fingern das Zeichen zum Weitersprechen. Lenk sie ab, Julian , sagten seine Augen. Julian nickte unmerklich.
„Beruhige dich, Charlotte, wir sind alle da, um dir zu helfen.“ Er wusste nicht, was er noch sagen sollte. Das hier war eine Nummer zu groß für ihn. Doch ein Blick auf Annabell verscheuchte jeden Gedanken daran, aufzugeben.
„Willst du mich verarschen, Julian!“ Charlottes Stimme klang nervöser, hysterischer als noch vor wenigen Minuten. „Ich weiß genau, was mit mir passieren wird. Ihr werdet mich
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