Todesrosen
irgendwelche erhöhte Gefahr war nichts verlautet. Der Kranwagen schwenkte seine Stahlkugel nicht mehr. Der ganze Westgiebel mitsamt der Schiebetür war eingestürzt, und durch die Öffnung konnte man die drei großen Stahltüren des Räucherofens sehen. Ein Auto, das hinter der Schiebetür gestanden hatte, war stark beschädigt. Noch bevor Sigurður Óli den Wagen zum Stillstand gebracht hatte, war Erlendur bereits herausgesprungen und rannte auf das Räucherhaus zu. Aus den Augenwinkeln sah er, wie die Feuerwehrleute die Spritze an einem Hydranten anbrachten. Er erreichte die zerstörte Giebelwand und quetschte sich an dem Auto vorbei. Er achtete nicht auf die Rufe der Feuerwehrleute, dass es äußerst gefährlich sei, das Haus zu betreten. Es rieselte von der Betonwand, und das Haus war voll von Rauch.
Erlendur hielt sich ein Taschentuch vor Mund und Nase und näherte sich den Öfen. Er stieß die erste Tür auf, vor der er stand, aber drinnen war es stockfinster. Als er die Tür zur mittleren Kammer öffnete, schlugen ihm immense Hitze und dicke Rauchschwaden entgegen. Seine Augen begannen zu tränen, und er wurde von einem nicht enden wollenden Hustenanfall geschüttelt. Er machte einen Satz in den Ofen hinein, sah unter sich die Glut in dem Schiebekasten und spürte die Hitze an seinen Füßen. In dem dichten Qualm fand er ganz im Inneren des Ofens Janus, der an ein Gestänge gebunden war. Erlendur schrie um Hilfe, bekam aber kaum einen Laut heraus.
Er wusste nicht, ob er Janus herunterholen oder auf einen Arzt warten sollte. Er sah sofort die schweren Brandwunden an Janus’ Beinen, denn dessen Hose war weggebrannt. Sigurður Óli tauchte neben ihm auf.
»Können wir dieses Gestell aus der Räucherkammer rausziehen, weg von der Glut?«, schrie Erlendur und sah zu Janus hoch. Ihre Schuhsohlen begannen zu schmelzen.
»Da müssen wir uns aber verdammt beeilen.«
Sie zogen an dem Gestänge, und nachdem sie es ganz langsam aus dem Ofen herausgeruckelt hatten, schlossen sie die Tür hinter sich. Janus bewegte sich nicht und gab keinen Laut von sich. Sigurður Óli rannte nach draußen, um nachzusehen, ob ein Arzt mit dem Krankenwagen gekommen war. Das war nicht der Fall. Die Krankenpfleger rannten mit ihm zurück ins Haus. Sie hatten Taschenlampen dabei, die sie auf Janus richteten. Der Anblick, der sich ihnen bot, war grauenvoll.
Janus’ Kopf, durch die Schläge völlig entstellt, war blutverschmiert, und die Augen waren vor lauter Schwellungen nicht zu sehen. Ein Arm hing seltsam verdreht neben dem Körper, er schien ausgerenkt zu sein. Der Kopf lag auf der Brust. Seine Kleidung bestand nur noch aus Fetzen, und der Körper war übersät mit Brandwunden, am schlimmsten betroffen waren die Beine. Man hatte ihn mit einem Strick um die Brust an dem Gestell festgebunden.
Die Rettungshelfer forderten per Funk Verstärkung an. Die Feuerwehrleute kamen einer nach dem anderen in das Haus, konnten aber nirgendwo offenes Feuer entdecken. Zwei von ihnen trugen die Brandspritze. Sie kontrollierten auch das Hinterzimmer, stießen aber überall nur auf Rauch und abermals Rauch.
Weitere Sanitäter tauchten auf und mit ihnen ein Arzt mit der Spezialausrüstung für Verbrennungen. Die Sanitäter stellten eine hohe Leiter auf, zwei von ihnen kletterten hinauf und zerschnitten den Strick, mit dem Janus angebunden war. Unten nahmen ihn zwei Männer mit Spezialhandschuhen entgegen, er wurde sofort in eine hypotherme Hülle gebettet und auf die Krankenbahre gelegt. Der Arzt versuchte, ein Lebenszeichen zu entdecken.
Erlendur und Sigurður Óli standen in einiger Entfernung, die Hände in den Hosentaschen vergraben, und verfolgten die Aktionen der Rettungshelfer und der Feuerwehr. Die Polizei war ebenfalls eingetroffen, und bald waren viele Menschen vor dem ehemaligen Räucherhaus versammelt, die schweigend zusahen, wie Janus auf die Krankenbahre gelegt wurde.
Der Arzt horchte nach dem Herzschlag. Er legte Janus zwei Finger an den Hals und horchte noch einmal. Die Leute standen um ihn herum. Der Rauch im Haus verzog sich langsam. Die sommerliche Helle drang durch die zertrümmerte Giebelwand hinein und beleuchtete die Szenerie vor dem Räucherofen.
»Er lebt noch«, rief der Arzt. »Er ist am Leben! Raus mit ihm, raus, raus, raus.«
Erlendur trat zu der Bahre hin, auf der Janus reglos lag. Er blickte auf das blutige und geschwollene Antlitz hinunter und sah, dass sich die Lippen bewegten. Er bückte sich zu Janus hinunter,
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