Todesrosen
verschleiert.
»Hab ich im Radio gehört«, sagte Eva Lind. »Klar war sie eine Nutte. Normale Mädchen werden nicht total nackt auf dem Friedhof abgelegt.«
»Ich hab nicht behauptet, dass sie eine Nutte war, ich hab nur das Gefühl, dass wir da einen Ansatzpunkt hätten. Sie wurde bei Jón Sigurðsson gefunden.«
»Wieso? War sie denn nicht auf dem Friedhof?«
»Doch, bei Jón Sigurðsson.«
»Hat es einen Skandal gegeben? Hat dieser Jón sie da gevögelt, oder was? Moment mal, von was für einem Jón redest du eigentlich?«
Erlendur zuckte die Achseln. Wo haben die Tage deines Lebens ihre Farbe verloren?, fiel ihm plötzlich ein. Diese Verszeile kam ihm manchmal unwillkürlich in den Sinn.
»Das Mädchen war dir gar nicht unähnlich, ein bisschen jünger vielleicht. Sah aus, als litte sie an Anorexie, dünn und leichenblass. Hat wohl gefixt. Wir wissen nicht, wie sie heißt, und wir suchen nach Leuten, die sie gekannt haben könnten. Wenn sie auf den Strich gegangen ist, müsstest du sie doch eigentlich kennen. Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass sie eine Tätowierung auf dem Po hatte.«
»Ich hab auch eine, aber nicht auf dem Arsch«, erwiderte Eva Lind und warf ihrem Vater einen merkwürdigen Blick zu. »Das ist total angesagt, tut aber bestialisch weh. Wer so was macht, ist sadistisch veranlagt. Ich habe es …«
»Sagt dir diese Beschreibung etwas?«, schnitt Erlendur ihr das Wort ab und drehte seinen Hut in den Händen. Er trug aus alter Gewohnheit einen Hut und wollte nicht von ihm lassen, auch wenn das sonst kein Mensch mehr tat. Der graue Battersby, an dem er jetzt herumfingerte, war einer seiner Lieblingshüte.
»Wenn sie auf Heroin war, ist es bestimmt ganz einfach. Drücken tun nur wenige, und da ist auch viel schwerer dranzukommen als an Ecstasy oder Speed. Dazu braucht man gute Connections. Hast du ein Bild von ihr?«
»Nein. Wenn wir nicht bald herausfinden, wer sie ist, werden wir das Gesicht der Leiche fotografieren und an die Medien weiterleiten müssen, aber das tun wir erst, wenn wirklich alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind. Vielleicht könntest du ja mit mir zum Leichenschauhaus fahren.«
»Pliiis! Nicht jetzt. Ich telefonier ein bisschen rum und meld mich dann bei dir, versprochen. Schlepp mich bitte nicht ins Leichenschauhaus. Das ist ja total widerlich.«
»Ich muss wissen, was hier auf dem Strich in Reykjavík abläuft«, sagte Erlendur, dem es davor graute, in diesem Fall auf die Hilfe seiner Tochter angewiesen zu sein. »Wer sind die Kunden? Wie kommen sie an die Mädchen heran? Hat ein Mädchen immer dieselben Kunden? Wie läuft das ab?«
Es war entsetzlich für ihn, sie nach diesen Details auszufragen, die ihr Leben auf der Straße betrafen. Das hatte er bislang tunlichst vermieden. Er wusste nur das, was sie ihm von sich aus gesagt hatte. Er hielt sich wohlweislich darin zurück, seinen Kindern Moralpredigten zu halten, aber bewirkt hatte dieser Vorsatz bislang noch nichts. Er hätte auch andere Mädchen nach diesen Dingen fragen können, doch seiner Tochter konnte er vertrauen, so viel stand zumindest fest. Seines Wissens hatte sie ihm bislang jedenfalls immer die Wahrheit gesagt. Aber er kannte auch die gelegentlich ordinäre Ausdrucksweise seiner Tochter nur zu gut.
»Mensch, was für ein Haufen Fragen, Erlendur«, entgegnete Eva Lind. Sie sagte nie Papa zu ihm. »Wer sich Nutten besorgen will, kriegt schnell raus, wie. Die Kerle rücken an, reden mit ihnen und schleppen sie ab. Manchmal kommen sie im Auto, dann ist die Sache geritzt. Manchmal genügt es ihnen, wenn man ihnen einen abwichst. Es reicht nicht, nur dazusitzen und zu quasseln, so ist das bloß im Kino. Abwichsen ist am billigsten. Die meisten wollen aber, dass man ihnen einen ablutscht, das ist eine fiese Arbeit, und einige wollen natürlich auch ficken. Treppenaufgänge, leer stehende Häuser, im Stadtzentrum gibt’s jede Menge Orte. Die Mädchen leben in irgendwelchen miesen Buden und fahren auch häufig mit ihren Freiern dahin. So was habe ich aber nie gemacht«, sagte Eva Lind, als sie sah, wie ihr Vater die Farbe wechselte. »Reg dich ab!«
Erlendur klammerte sich halbherzig an diese Lüge.
»Was für Kerle sind das?«
»Meistens irgendwelche alten Knacker. Die bringen ihre Rente mit so was durch. Aber auch alle möglichen anderen Männer, die zu Hause nicht rankommen. Seeleute, die in der Stadt sind und nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen. Die lassen sich
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