Todesrosen
später.
Sie sah Erlendur und Sigurður Óli eine Weile an, zwei ihr völlig unbekannte Männer aus Reykjavík, und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Was sagt ihr da? Birta ist tot?«
Erlendur nickte. Sie müsse mit ihnen nach Reykjavík kommen, um das zu bestätigen, doch sie seien sich sehr sicher.
»Ist sie die junge Frau vom Friedhof? Das Mädchen bei Jón Sigurðsson? War das meine Tochter?«
»Ich fürchte, ja«, sagte Erlendur und erklärte ihr, wie sie ihre Identität herausgefunden hatten. Es sei nicht ganz einfach gewesen, da niemand sie zu vermissen schien. »Was für ein Verhältnis hattest du zu deiner Tochter?«
»Verhältnis? Mein Gott. Birta … Es ist, als würden manche Kinder … Großer Gott«, sagte sie und brach in Tränen aus.
Erlendur holte das Foto aus seiner Brieftasche, sah es eine Weile an und reichte es dann Erla, die es entgegennahm und lange betrachtete. Das Gesicht auf dem Foto konnte sie zunächst kaum mit ihrer Tochter in Verbindung bringen, aber je eingehender sie es betrachtete, desto vertrauter kamen ihr die Gesichtszüge vor, Mund, Kinn, Nase und Augenpartie eines Mädchens, das einmal ihres gewesen, ihr aber seit langem fremd geworden war.
Erlendur und Sigurður Óli saßen ihr schweigend gegenüber.
»Es wäre gut, wenn du mit uns nach Reykjavík kommen könntest, um Birta zu identifizieren und sie mit nach Hause zu nehmen«, sagte Erlendur schließlich und streckte die Hand nach dem Foto aus.
Er blickte die Mutter in ihrem blauen Kittel mit den roten Tressen an, die den Kopf gesenkt hielt und in ihren Schoß starrte. Vor einem Augenblick noch war ihr Leben in Ordnung gewesen. Sie hatte sie freundlich angelächelt, aber das Lächeln war verschwunden, als sie ihr mitteilten, wer sie waren und woher sie kamen. Ihre Miene war zunächst ausdruckslos gewesen, als sie erfuhr, weshalb sie gekommen waren, aber dann malten sich Ungläubigkeit, Trauer und Einsamkeit auf ihrem Gesicht ab. Erlendur war sich im Klaren darüber, was für eine entsetzliche Nachricht er ihr überbrachte. Er saß im Büro eines Supermarkts und teilte dieser müde wirkenden Frau im blauen Kittel mit, dass der Tod bei ihr Einzug gehalten hatte. Er senkte ebenfalls den Kopf und dachte, wie grauenvoll alltäglich der Tod sein konnte.
Zweiundzwanzig
Plötzlich fiel ihm Kalmann ein. Dieses verfluchte Arschloch hatte ihm gesagt, er sei stupid, und das Gespräch abgebrochen.
In der Räucherkammer war es stockfinster, und Herbert hatte keine Ahnung, wie spät es sein mochte. Trotz der verzweifelten Lage, in der er sich befand, eingequetscht unter Stahlgittern auf dem Boden des Räucherofens, war er einige Male in einen unruhigen Schlaf gefallen. Er dachte an den Benzinkanister, der auf dem Gitterrost über ihm stand, und daran, ob dieses verdammte Arschloch es wohl wagen würde, das Ding über ihm auszukippen und ihn anzuzünden. Er konnte sich nur vage an diesen Schwachkopf erinnern, der sich ständig an Birta gekrallt hatte. Ihm war völlig schleierhaft, was dieser Idiot von ihm wollte, er hatte Birta ja schließlich nicht umgebracht, und wozu dieses Gewinsel über Drogen, so als sei er, Herbert, verantwortlich für alles, was in dieser Gesellschaft schieflief. Bullshit!
Kein Laut drang zu ihm herein. Er hatte keine Vorstellung, wo ein Räucherofen von dieser Größe in Reykjavík zu lokalisieren war. So was musste wohl zu irgendeinem größeren Lebensmittelunternehmen gehören, aber da schien aus irgendeinem Grunde niemand zu arbeiten. Hatten alle Urlaub? Und wieso kannte sich das Arschloch hier so gut aus? Er grübelte lange über Birta und Janus, landete in seinen Gedanken aber immer wieder bei Kalmann, sodass er zum Schluss überzeugt davon war, dass dieser verfluchte Bigshot hinter dem Ganzen steckte, weil er Herbert loswerden wollte. Das passte zwar nicht so ganz zu dem moralischen Gewäsch von diesem Idioten vorhin, doch das konnte ja auch ein Täuschungsmanöver sein.
Herbert musste einfach alles daransetzen, um aus dieser Räucherlade rauszukommen, lügen, betrügen, hoch und heilig Versprechungen machen, bloß raus hier, und dann diesen son of a bitch erledigen und ihn im Gegenzug selbst in diese Lade befördern und sehen, wie ihm das gefallen würde. Dieses Arschloch hatte ihn angepinkelt, ihn, big Herb! Wer so etwas machte, musste lebensmüde sein.
In seinem Größenwahn bildete Herbert sich ein, dass es nur wenige Menschen gab, die es wagen würden, ihn so zu behandeln. Er war überzeugt,
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