Todesrosen
über sie zu erfahren.
»Außerdem war das alles ziemliches Gesocks. Birta ist schon hier in schlechte Gesellschaft geraten«, sagte Erla. »Es war besser, als wir noch in unserem kleinen Dorf lebten.«
Es war noch etwas Zeit bis zum Abflug. Erlendur war daher der Gedanke gekommen, dem Büro der örtlichen Gewerkschaft einen Besuch abzustatten. Er traf dort auf Finnur, den Gewerkschaftsführer, einen drahtigen, hochgewachsenen Mann Mitte dreißig, der ihn mit einem festen Händedruck begrüßte und ihn in sein Büro führte. Erlendur erklärte ihm, dass er sich ein wenig mit der Situation in den Westfjorden vertraut gemacht hatte und inwieweit das mit den Fangquoten zu tun hatte. Er ging aber nicht näher darauf ein, was ihm bei seiner bisherigen Reise dazu alles durch den Kopf gegangen war. Es ging ihm darum, ein paar Dinge in Erfahrung zu bringen, wusste aber nicht, an wen man sich deswegen am besten wenden sollte. Er kannte die Reedereibetriebe vor Ort nicht, vermutete aber, dass der Gewerkschaftsführer gut informiert sein würde.
»Kannst du mir sagen, wer hier in den Westfjorden besonders an den Quotenkäufen beteiligt gewesen ist?«, fragte er und kam damit direkt zur Sache, nachdem sie sich gesetzt hatten.
»Es wird viel über bestimmte Leute aus Akureyri geredet. Besitzen die nicht inzwischen die größte Reederei des Landes?«
»Niemand aus Reykjavík?«
»Doch, natürlich auch. Die haben hier sämtliche Fjorde nach Quoten abgeklappert.«
»Wer war das?«
»Diejenigen, die hier den Tunnel gebaut haben, sie waren von irgendeinem Hoch- und Tiefbauunternehmen. Wie heißt nochmal der Besitzer? Kalmann, glaube ich.«
»Kalmann?«
»Ja, genau.«
»Was will dieser Kalmann denn mit den Fangquoten? Meines Wissens ist er doch eine große Nummer im Immobiliengeschäft und beim Häuserbau in Reykjavík.«
»Frag mich nicht. Die kamen jedenfalls in seinem Auftrag. Ich habe schon lange keinen Durchblick mehr, was diesen Quotenhandel betrifft, aber so viel kann ich dir sagen, da geht es derartig drunter und drüber, dass ich schon längst aufgehört habe, mich darüber zu wundern, wenn irgendwelche Immobilienspekulanten aus Reykjavík Quoten aufkaufen. Mich kann diesbezüglich gar nichts mehr überraschen.«
Elínborg und Þorkell holten sie vom Flughafen ab, als sie gegen drei in Reykjavík landeten. Sie fuhren mit Erla sofort zum Leichenschauhaus am Barónsstígur, wo sie bestätigte, dass es sich bei der Toten um ihre Tochter handelte. Sie hatte aufgehört zu weinen. Nachdem sie eine ganze Weile das Gesicht ihrer Tochter betrachtet hatte, nahm sie mit einem Kuss auf die Stirn Abschied von ihr. Die näheren Umstände ihres Todes waren bislang kaum zur Sprache gekommen, doch jetzt bekam sie auch die Details zu hören. Sie blickte Erlendur verständnislos an.
»Allmächtiger Gott«, stöhnte sie. Erlendur legte seinen Arm um ihre Schultern, führte sie in ein kleines Besucherzimmer und blieb so lange bei ihr, bis sie sich wieder einigermaßen gefangen hatte.
Erla hatte vor, mit der Abendmaschine zurückzufliegen und Birtas Leiche mitzunehmen. Dem stand nichts im Wege, da die Polizei den Leichnam nicht mehr benötigte. Elínborg leitete den Transport in die Wege, während Erla mit Erlendur und Sigurður Óli ins Hauptdezernat fuhr, damit dort das Protokoll angefertigt werden konnte.
Sie klärten sie darüber auf, was sie über die Lebensumstände ihrer Tochter in Reykjavík in Erfahrung gebracht hatten. Erla schwieg daraufhin lange, versuchte dann aber, ihnen zu erklären, weshalb sie versucht hatte, die Gedanken an ihre Tochter und ihre Situation zu verdrängen. Sie hatte einfach kapituliert. Ihr wäre aber nie eingefallen, dass sie so tief gesunken sein konnte.
Birta war 1976 in Ísafjörður zur Welt gekommen und zweiundzwanzig Jahre alt. Erla war gerade erst achtzehn gewesen, als sie die Tochter bekam. Nach der Scheidung von Birtas Vater hatte Erla wieder geheiratet und zwei Kinder mit ihrem zweiten Mann bekommen, die jetzt sechzehn und siebzehn Jahre alt waren und beide in Reykjavík zur Schule gingen. Mit denen hatte Birta so gut wie keine Verbindung gehabt, nachdem sie in die Pubertät gekommen war. Erla wusste nichts über den Vater von Birta. Er war nach Reykjavík gegangen, als Birta noch keine vier Jahre alt war, und hatte sich seitdem nie wieder gemeldet. Birta hatte sich ebenfalls nicht bemüht, mit ihm wieder in Kontakt zu kommen. Sie hatte ihn nie vermisst. Sie war ein sehr liebes
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