Todesschrein
Aber zu diesem Zeitpunkt hatten die beiden bereits ihr Schweigegelübde abgelegt. Das Telefon im Apartment klingelte viermal, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete. Cabrillo verzichtete darauf, eine Nachricht zu hinterlassen. Das von der Corporation als so entscheidend eingeschätzte Ass im Ärmel erwies sich als völlig wertlos.
»Es tut sich etwas«, meldete einer der MI5–Agenten, die die Richtmikrofone überwachten, über Funk.
Es war kurz vor neun Uhr abends, in London hatte leichter Schneefall eingesetzt. Die Temperatur lag knapp über dem Gefrierpunkt, der Schnee blieb nicht auf den Straßen liegen, sondern sorgte nur dafür, dass sie nass wurden. Falls die Temperatur weiter sank, würden sie sich in Eisbahnen verwandeln. Die Dächer der Gebäude wirkten nach kurzer Zeit wie überzuckert, und Dampfwolken stiegen aus zahllosen Kaminen auf. Die noch verbliebene Weihnachtsdekoration in den Fenstern verlieh der Szenerie eine festliche Stimmung, und auf den Straßen nahm die Zahl der Partygäste stetig zu.
Abgesehen davon, dass in nächster Nähe eine Atombombe lauerte, war alles friedlich.
Lababiti fuhr mit dem Lift nach unten. Er hatte Amad erklärt, wie er in den Laden gelangen konnte. Das Fahrzeug, das die Bombe transportierte, war schon vor einer Woche aufgetankt und auf seine Fahrtüchtigkeit überprüft worden. Der Jemenit wusste, wie der Zeitzünder gestartet wurde. Mehr gab es nicht zu tun.
Nur zu flüchten.
Lababitis Plan war simpel. Er würde mit seinem Jaguar durch die Stadt zur M20 fahren. Dafür würde er ungefähr eine Dreiviertelstunde brauchen. Auf der M20 würde es weiter nach Süden zum Eisenbahnterminal in Folkstone gehen, eine Strecke von gut hundert Kilometern. Dort angekommen – eine halbe Stunde vorher, wie vorgeschrieben – würde er den Jaguar auf den Zug fahren, der laut Fahrplan um 23:30 Uhr startete.
Gegen Mitternacht würde der Zug den Kanaltunnel verlassen, um fünf Minuten später in Coquelles, in der Nähe von Calais, einzulaufen. Lababiti wäre der Gefahr eines Tunneleinsturzes, wenn die Bombe gezündet würde, entronnen – aber er könnte immer noch den Feuerball vom Zugfenster aus beobachten.
Eine perfekt geplante und zeitlich abgestimmte Flucht.
Er hatte nicht die geringste Ahnung, dass sowohl mehrere Dutzend MI5–Agenten als auch die Corporation jeden seiner Schritte überwachten. Er war der Hase – und die Bluthunde kamen immer näher.
Lababiti verließ den Fahrstuhl, ging durch die Vorhalle und trat hinaus auf die Straße. Er sah sich prüfend um, konnte aber nichts Auffälliges entdecken. Abgesehen davon, dass er das unangenehme Gefühl hatte, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden, fühlte er sich sicher und unbeschwert. Das Gefühl war nichts anderes als eine latente Paranoia, dachte er, hervorgerufen durch sein Wissen um den bevorstehenden Vernichtungsschlag. Er verscheuchte die Gedanken mit einem Achselzucken, öffnete die Tür seines Jaguar und stieg ein.
Er startete den Motor und ließ ihn eine Minute lang warm laufen, dann legte er den Gang ein und lenkte den Wagen die paar Schritte bis zum Strand und fädelte sich dort in den fließenden Verkehr ein.
»Ich habe ihn an der Angel«, gab einer der MI5–Agenten per Funk durch.
Der Peilsender, den Truitt am Benzintank befestigt hatte, funktionierte einwandfrei.
Auf dem Bürgersteig, in der Nähe des Eingangs zum Savoy, standen Fleming und Cabrillo und sahen den Jaguar, der an der Ecke darauf wartete, abbiegen zu können. Flem ing wandte dem Wagen den Rücken zu und sagte etwas in sein am Hals befestigtes Mikrofon.
»Team vier und Team fünf, folgt ihm unauffällig.« Der Jaguar bog ab, ein Taxi startete vom Bordstein und fuhr in sicherer Entfernung hinter ihm her. Der Jaguar passierte einen kleinen Kastenwagen mit dem Logo eines rund um die Uhr liefernden Frachtzustelldienstes, der sich ebenfalls in sicherer Entfernung an den Jaguar hängte.
»Der Jaguar war sauber, die Bombe befand sich nicht darin«, sagte Fleming zu Cabrillo. »Was meinen Sie denn nun, wohin Lababiti unterwegs ist?«
»Er flüchtet«, sagte Cabrillo, »und lässt den Jungen zurück, damit er seinen Job ausführt.«
»Und wann sollten wir eingreifen?«, fragte Fleming. »Lassen Sie ihn bis an seinen Bestimmungsort gelangen«, sagte Cabrillo. »Zum Flughafen, zum Bahnhof – egal wohin. Dann sollten Ihre Männer zuschlagen. Sie müssten aber dafür sorgen, dass er nicht mehr telefonieren kann, ehe sie ihn in
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