Todesspiel
verrückt, aber sie waren angekettet. Estrella war außer Gefahr. Die Scheinwerfer draußen wirkten jetzt freundlich. Im Hafen, jenseits der FBI- Autos und Streifenwagen, trafen Schiffe aus aller Herren Länder ein.
22
Washington zeigte sich von seiner besten Seite in
jenem Herbst, kühl und strahlend und lebendig in leuchtenden Herbstfarben. Rubens und Estrella stiegen vor dem Dirksen-Senate-Gebäude in der Constitution Avenue aus dem Taxi. Christa Salazar – ihre Betreuerin für diese Woche – begleitete sie. Die Anhörungen vor dem Untersuchungsausschuss für Auswärtige Beziehungen des Senats sollten in einer halben Stunde beginnen. Sie waren vergangene Nacht mit dem Delta-Shuttle von New York hierher geflogen. Als sie durch die Sicherheitskontrollen gegangen waren und Rubens seinen Ausweis hatte zeigen müssen, hatte ihn seine alte Angst beschlichen.
»Sie sind doch der aus den Zeitungen«, hatte der Mann, der die Papiere kontrollierte, voller Bewunderung gesagt und Rubens die Hand geschüttelt.
»Meine Eltern leben in Ruanda«, fuhr der Mann fort. »Wenn die für Afrika bestimmten Hilfsgüter von jetzt an tatsächlich dort ankommen, werden wir das Ihnen zu verdanken haben.« Man hatte sie auf Kosten des Justizministeriums in einem gemütlichen Hotel in Foggy Bottom untergebracht. Am Vormittag hatten sie die Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt besichtigt, das Jefferson Memorial, das Air & Space Museum und das Kennedy Center – Estrellas Traum. Sie war mit großen Augen durch die riesigen Korridore geschlendert, hatte einen Blick in die großartigen, leeren Theatersäle geworfen und die gewaltigen Poster berühmter Künstler bewundert. Sie hatte so lange gebettelt, bis man ihr für die 20-Uhr-Vorstellung der Tanzkompanie Rindfleisch fünf Plätze in der ersten Reihe versprochen hatte.
Tommy und Jamie würden als Zuschauer an den Anhörungen teilnehmen. Sie würden den Abend in Washington verbringen und mit ins Theater gehen.
»Danke, Papa«, hatte Estrella freudestrahlend gesagt, glücklich und unverwüstlicher, als er je sein würde. Cizinio hatte sie zwar in Angst und Schrecken versetzt, aber nicht ernsthaft verletzt. Er hatte seine überlebenden Söldner fortgeschickt – sie wurden später am Flughafen festgenommen –, Estrella Sandwiches besorgt und ihr ausreichend zu trinken gegeben. Er sei launisch gewesen, sagte sie, manchmal habe er über Rubens geflucht, manchmal habe er sie merkwürdig angesehen und von ihrer Mutter erzählt. Aber er hatte sie nicht sexuell belästigt. Niemand hatte das getan. In manchen Momenten war er ihr sogar verloren und einsam vorgekommen.
»Wo ist Ihr Sohn?«, fragte Rubens Christa.
»Bei Jim. Er verbringt jede zweite Woche bei mir. Vergangene Woche haben wir die Scheidung eingereicht. Wir gehen höflich miteinander um, aber es ist alles sehr traurig.«
»Das tut mir leid.«
»Mir auch.«
»Dann sollten Sie sich vielleicht überlegen, doch mit ihm zusammenzubleiben.«
»Nein, er hat etwas gegen meinen Beruf. Er findet, das ist nichts für eine Mutter.«
»Ich bin froh, dass Sie Ihren Beruf haben«, sagte Rubens aufrichtig.
Sie stiegen die weißen Marmorstufen hoch, gingen durch die Drehtür und stellten sich in der Schlange vor dem Metalldetektor an. Estrella hielt ihr Notizbuch in der Hand, in dem sie die Titelgeschichten der New York Times der vergangenen zwei Monate aufbewahrte. Artikel, in denen die Informationen bestätigt wurden, die Rubens in dem Lagerhaus in New Jersey von Cizinio bekommen und an die Polizei weitergegeben hatte.
»Deutscher Bankier in Berlin angeklagt.« Das abgebildete Foto zeigte einen Mann, den Rubens in Rio Branco gesehen hatte. »Japanischer Bankier festgenommen, als er inkognito aus Tokio fliehen wollte.« – »Brasilianischer Senator in seinem Haus in Manaus festgenommen.« – »Sebastian Walsh befördert.« – »Christa Salazar belobigt.« – »Der Skandal um Hilfsgüter weitet sich auf sieben Länder aus.« – »Stellvertretender Außenminister erhängt in seinem Haus aufgefunden; in einem Abschiedsbrief gesteht er, vertrauliche Informationen an Jack Nestor weitergegeben zu haben.« – »Unterschlagene Hilfsgelder belaufen sich auf geschätzte drei Milliarden Dollar während der vergangenen acht Jahre.« – »Interpol entdeckt weitere geheime Bankkonten in Luxemburg, auf den Kanalinseln, in Taiwan und New York.«
»Jack Nestor, derzeit auf seiner Hazienda in Costa Rica, wehrt sich gegen Auslieferung an die
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