Todesspur
erklärte Amberg.
»Ethik?« Tweed starrte den Bankier an. »Sie machen wohl Witze? Wenn Sie sie mir schon früher zugänglich gemacht hätten, wären eine Menge Menschen noch am Leben. Weshalb haben Sie das nicht getan? Sie haben sich den Film doch schon vor langer Zeit angeschaut, oder?«
»Ja. Als ich sah, was darauf war, wurde nur klar, daß mein eigenes Leben in Gefahr war …«
»Und deshalb hat Ihre Ethik Sie veranlaßt«, fuhr Tweed ihn an, »nichts davon verlauten zu lassen. Wenn Ihre Ethik so aussieht, Amberg, dann kann ich darauf verzichten. Und von jetzt an halten Sie lieber den Mund, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist …«
52. Kapitel
Der Mann mit dem grauen Haar, das bis über den Kragen seines Astrachanmantels reichte, blickte über seine halbmondförmigen Brillengläser hinweg auf den Eingang der Zürcher Kreditbank. Norton war zu schlau, um in dem Wagen sitzen zu bleiben, in dem er Tweed und seinen Leuten vom Chateau d’Ouchy aus gefolgt war. Der morgendliche Stoßverkehr hatte ihm geholfen, sich hinter Nields Kombi zu verbergen, der hinter dem Espace hergefahren war. Jetzt stand er vor einer Buchhandlung und tat so, als läse er in einem Buch, das er ohne hinzusehen gekauft hatte.
Norton, der gleichfalls im Chateau d’Ouchy wohnte, hatte, allein an einem Ecktisch sitzend, Tweed beim Frühstücken beobachtet. Er war sicher, daß seine veränderte Erscheinung ein Wiedererkennen unmöglich machte – und so war es auch gewesen.
Ans Telefon gerufen, hatte Norton sein Frühstück stehengelassen und das Gespräch in seinem Zimmer entgegengenommen.
»Hier Mencken«, begann die dringliche Stimme.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten nur im äußersten Notfall hier anrufen.«
»Und mit einem solchen haben wir es zu tun. All unsere Leute wurden eingesammelt und weggeschafft. Offiziell…«
Was Menckens vorsichtige Art war, am Telefon das Wort »Polizei« zu vermeiden.
»Ich freue mich, daß alles so gut läuft. Vielen Dank für Ihren Anruf…«
Für Mencken mochte das eine Paniksituation sein, aber Norton, Ex-FBI-Mann, geriet niemals in Panik. Er hatte den harten Kern von Unit One geschaffen, nachdem Senator Bradford March ihm den Posten seines persönlichen Sicherheitschefs und ein hohes Gehalt angeboten hatte. Es war Norton gewesen, der die Versuche, Ives umzubringen, organisiert hatte, bevor Ives nach Europa geflüchtet war. Norton war stets methodisch vorgegangen.
Er bezahlte seine Hotelrechnung, verstaute seinen Koffer in dem Renault und kehrte dann ins Restaurant zurück. Fünf Minuten später beobachtete er, wie Tweed und seine Begleiter gingen, und folgte ihnen zur Zürcher Kreditbank. Jetzt wartete er geduldig. Dann sah er, wie Marler herauskam, mit den gleichen Geräten, die er früher hineingetragen hatte – einem tragbaren Fernseher, einem Videorecorder, einem Tonbandgerät und einer Segeltuchtasche, die jetzt voller zu sein schien als vorher.
An der Seite der Tasche zeichnete sich eine viereckige Form ab, die ungefähr die Größe einer Videokassette hatte.
Norton blätterte eine Seite in seinem Buch um und begriff, was die Stunde geschlagen hatte.
»Wenn ich nur meine Leute noch hätte …«
Aber er hatte keine Leute mehr. Sie waren alle festgenommen. Mit dem Buch in der Hand faßte Norton einen weitreichenden Entschluß. Er konnte March nicht berichten, daß er versagt hatte – das käme einem Selbstmord gleich. Also war es an der Zeit, abermals die Seite zu wechseln, um zu überleben.
»Dieser Videofilm, den March unbedingt in die Hand bekommen wollte, muß vernichtendes Material enthalten.
Weshalb hätte er sonst eine so große Truppe von Unit One nach Europa geschickt?« March hatte eine Schlacht verloren – das sagte Norton jener sechste Sinn, den er in seinen Jahren als FBI-Agent entwickelt hatte.
Er erinnerte sich an einen gewissen mächtigen Senator, dem er einmal einen Gefallen getan hatte, indem er belastende Dokumente verschwinden ließ, die seiner Karriere auf dem Capitol Hill ein rasches Ende bereitet hätten. Ja, es war an der Zeit, daß er sich mit Senator Wellesley in Verbindung setzte, ihm abermals seine Dienste anbot. Gegen ein beträchtliches Honorar…
Norton folgte dem Espace und dem Kombi und war nicht überrascht, als die beiden Fahrzeuge auf den Innenhof des Chateau d’Ouchy einbogen. Er ließ seinen Wagen in der Nähe des Anlegers stehen, von dem aus die Fähren zum französischen Evian fuhren, und ging zu Fuß zum Hotel zurück. Er kam
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