Todessymphonie (German Edition)
0,4 Zentimeter. Das könnte durchaus die Folge von Verhungern sein. Was hat Baldwin sonst noch über diesen Matsch-Typen gesagt?“
McKenzie wurde hellhörig. „Il Macellaio. Der Schlachter. Man spricht es ‚Matschellajo‘ aus, mit der Betonung auf dem a von ‚lajo‘. Allerdings ist es mir vollkommen unverständlich, warum sie ihn so nennen. Er schlitzt sie ja nicht auf oder so.“
Taylor gab ihm einen Punkt dafür, dass er den Namen richtig aussprechen konnte.
Sam öffnete den Torso, und McKenzie starrte fasziniert auf die ausgedörrten Organe des toten Mädchens. „Sollen die so grau sein?“, fragte er.
„Ehrlich gesagt, nein. Und sie sind atrophiert, weshalb sie so klein aussehen.“ Sam fuhr mit ihrer Arbeit fort; sie sezierte, beobachtete, nahm Proben und machte sich Notizen. Die ganze Zeit über sprach sie mit McKenzie. Sie erklärte, wie Verhungern vonstattenging, dass der Körper Proteine, Kohlenhydrate und Fette in verschiedene Sequenzen herunterbricht, dass als Erstes die Kohlenhydrate verbrannt werden, dann das Fett, dann die Proteine. Wenn der Körper anfängt, sich selber von den Proteinen zu ernähren – oder von Muskelmasse – tritt der Tod ein. Bei jemand so Schmächtigem wie Allegra käme er schneller als bei einer ausgewachsenen, gut ernährten und gesunden Frau. Ohne Wasser und Nahrung konnte das Sterben innerhalb einer Woche erfolgen.
Sam widmete sich dem Kopf des Mädchens. Taylor drehte sich weg und ließ ihre Gedanken absichtlich abschweifen, als die Knochensäge angeschaltet wurde. Sie kehrte in Gedanken an den Fundort zurück. Warum wählte man ein Haus, das einem nicht gehört? Um eine Nachricht zu schicken. Um jemandem etwas anzuhängen. Um die wahre Bedeutung zu verschleiern.
„Das Gehirn weist keine Auffälligkeiten auf“, rief Sam.
„Würde das Gehirn nicht genau wie die restlichen Organe zusammenschrumpfen?“, wollte McKenzie wissen.
„Das würde man meinen, aber nein. Unsere Gewebeaufnahmen sollten relativ normal aussehen.“
„Was ist das für ein Gefühl, zu verhungern?“ McKenzie sah traurigaus, und Taylor wusste, dass er einer von ihnen war. Sie hatte sich gefragt, was für eine Art Detective er werden würde – stürmisch und sarkastisch, jemand, der das tägliche Grauen mit scharfen Worten in Schach hielt, oder fürsorglich und voller Mitgefühl. Ein guter Detective musste die Balance zwischen Wirklichkeit und Mitgefühl finden. Wenn man sich zu sehr einbrachte, brannte man schnell aus. War man zu zynisch, konnte man nicht mit den Opfern mitfühlen und ihre Mörder nicht finden. Die Mitte zu finden war etwas, das man niemandem beibringen konnte, aber der Ausdruck auf McKenzies Gesicht sagte alles. Er würde das sehr gut machen.
Sam kam langsam zum Schluss. „Ich muss noch die toxischen Untersuchungen abwarten und mir die Elektrolyte und anderen Ergebnisse angucken. Aber wenn sie verhungert ist, war es definitiv nicht angenehm. Die Hungerschmerzen sind eine Sache, aber ohne Wasser hat ihr Blut an Volumen verloren, was zu einem sinkenden Blutdruck führt. Kopfschmerzen, Herzrasen, konstante Müdigkeit sind die Folgen. Am Ende folgen Muskelkrämpfe und Delirium. Sie wäre außergewöhnlich phlegmatisch und schwindelig gewesen und hätte sich nicht mehr wehren können. Taylor, ich mache alle Tests und gucke, ob ich irgendwelche biologischen Spuren finde, aber die Leiche ist sehr sauber. Als wenn sie gereinigt worden wäre. Aber wer weiß, vielleicht haben wir Glück.“
Sam nickte McKenzie zu und ging zum Waschbecken hinüber. Taylor tippte ihrem Kollegen auf den Arm und sagte: „Gehen wir. Das hast du gut gemacht. Jetzt musst du versuchen, so viel wie möglich über sie in Erfahrung zu bringen. Eine Adresse, nächste Verwandte, die benachrichtigt werden müssen. Dann ruf den Kaplan an, er soll uns begleiten. Aber erst einmal sollten wir uns was zu Essen gönnen und gemeinsam die To-Dos durchgehen. Treffen wir uns im Rippy’s?“
„Okay. Bis gleich.“ Pflichtbewusst und gedankenverloren verließ McKenzie den Autopsiesaal. Taylor fragte sich, was er gerade dachte.
Sam rief sie. „Hey, ich werde als Erstes das Gleitmittel überprüfen und mich später bei dir melden.“
Taylor winkte ihr. „Danke. Vielleicht sagt uns das etwas darüber, wer dieser Mörder wirklich ist.“
10. KAPITEL
„Oh, fick dich und stirb, du Idiot.“
Detective Inspector James Highsmythe warf das Telefon auf seinen Schreibtisch. Eine weitere Person, die nicht sonderlich
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