Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
Chef?«
»Nein, das halte ich im Moment für wenig sinnvoll. Wir haben ja nichts in der Hand. Und so, wie ich diese Dame einschätze, würde sie uns sowieso keine Auskunft geben. Die betrachtet die Polizei grundsätzlich als Feind und knallt uns die Tür vor der Nase zu.«
Die Talkrunde war beendet.
Nachdem die Mitarbeiter LaBréas Büro verlassen hatten, rief er den Ermittlungsrichter an, um ihn über den bisherigen Stand der Erkenntnisse zu informieren. Joseph Couperin wollte gerade sein Büro verlassen und schien in Eile zu sein.
»Eine Theaterpremiere im Vieux Colombier , LaBréa. Eine Komödie von Ayckburn. Genau das Richtige heute, um die tristen und schmutzigen Momente unseres Berufes zu vergessen. Ich freue mich darauf, mal wieder nach Herzenslust zu lachen!«
»Dann viel Vergnügen, Monsieur le Juge. Ich mache ebenfalls für heute Feierabend. Sie hören morgen wieder von mir.« LaBréa legte den Hörer auf.
Als er ans Fenster ging, sah er, dass es wieder zu schneien begonnen hatte. Im dichten Flockenwirbel wirkten die Lichter der Stadt wie gedimmt. Er dachte an Céline und griff spontan nach seinem Handy, um sie in Barcelona anzurufen. Doch ihr Gerät war abgestellt. Nicht einmal die Mailbox schaltete sich ein. LaBréa würde es später von zu Hause aus noch einmal versuchen. Er zog seine Lederjacke an, schlug den Kragen hoch und freute sich auf den Nachhauseweg durch die klare, kalte Winterluft.
Straßen und Bürgersteige waren erneut von einer Schneeschicht bedeckt. Der darunterliegende gefrorene Schneematsch verwandelte die Gehsteige und Fahrbahnen in gefährlich glatte Flächen.
LaBréa musste sich vorsehen, dass er nicht ins Rutschen geriet. Er war hungrig und entschloss sich spontan, in der Weinbar Le Rouge Gorge in der Rue St. Paul noch ein Glas zu trinken und einen Happen zu essen.
Im Lokal saßen nur wenige Gäste. Die Wirtin begrüßte ihn mit Handschlag und bot ihm einen Platz am Fenster an. Normalerweise servierte man hier abends kein warmes Essen. Doch LaBréa hatte Glück.
»Ich habe noch etwas von unserem heutigen Mittagstisch«, bot sie LaBréa an.
»Was ist es denn?«
»Kaninchenrücken in Weißweinsauce mit Backpflaumen. Dazu Mangoldgemüse.«
»Klingt wunderbar«, sagte LaBréa und spürte, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Seit dem Stück Pizza mittags am Stehimbiss hatte er nichts mehr gegessen.
»Dazu einen Sancerre? Oder lieber einen Blanc de Tourraine?«
»Den Blanc de Tourraine.«
Die Wirtin verschwand hinter dem Tresen. Wenig später brachte sie LaBréa den bestellten Weißwein und ging in die Küche.
LaBréa blickte aus dem Fenster. Im Schritttempo fuhr ein Auto vorbei. Die Schneeflocken tanzten im Scheinwerferlicht. LaBréa trank den ersten Schluck Wein und dachte über die Ereignisse des Tages nach. Zwei Todesfälle und eine Unmenge Arbeit, die vor
ihm und seinen Mitarbeitern lag. Im Mordfall Masson keine heiße Spur. Im Gegenteil. Die Spur des Ermordeten schien sich irgendwann in den Neunzigerjahren verloren zu haben. Immerhin gab es die Namen der anderen Männer auf dem Camerone-Foto. Dort konnte man ansetzen, um mehr über Pascal Masson in Erfahrung zu bringen. Vielleicht musste man auch noch einmal die Biografie des erhängten Julien Lancerau unter die Lupe nehmen. Oder sollte es tatsächlich nur purer Zufall sein, dass Lancerau und Masson im selben Gefängnis eingesessen hatten und im Abstand von wenigen Stunden zu Tode kamen? Masson war höchstwahrscheinlich einem Racheakt zum Opfer gefallen, ebenso wie die mit Farbe besprühten Vergewaltiger. LaBréa dachte an die beiden Motorradlesben. Konnte man ihnen eine solche Tat zutrauen? Wenn ja, wo lag das Motiv? Irgendwo in Massons Vergangenheit?
Abrupt wurde LaBréa aus seinen Gedanken gerissen, als jemand von außen kräftig gegen die Scheibe klopfte. Er sah ein lachendes Gesicht, eine schicke Pelzmütze und lange blonde Haare.
Jocelyn Borel.
Noch ehe er reagieren konnte, verschwand das Gesicht. Gleich darauf betrat LaBréas Jugendliebe das Lokal.
»Maurice!« Mit einer weit ausladenden Bewegung streckte sie ihre Arme aus, als wollte sie einen lange verlorenen Sohn begrüßen. »Mein Gott, was für ein
Zufall! Ich komme gerade von meiner Kosmetikerin, ihr Salon ist an der nächsten Ecke. So oft habe ich bei dir angerufen, aber du hast dich nie gemeldet.« Sie zog einen Schmollmund und blickte ihn vorwurfsvoll an.
»Jocelyn, schön, dich zu sehen«, murmelte LaBréa. Er zögerte kurz, dann lud
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