Todesträume am Montparnasse - Ein Fall für Kommissar LaBréa
der Schriftzug »Entwaffnet Vergewaltiger!«.
Auf dem Küchenherd dampfte ein Topf. Die Frau, die vorhin die Tür geöffnet hatte und von Hortense Vignal Justine genannt worden war, schnippelte Gemüse und bereitete offensichtlich das Mittagessen zu.
Ein Kachelofen an der rechten Seite des Wohnzimmers spendete wohlige Wärme.
Der zweite Raum schien das Schlafzimmer zu sein. LaBréa entdeckte zwei Eisenbetten und ein großes hölzernes Hochbett. Dort erhob sich gerade die verschlafene Gestalt der Frau, die gestern Abend zusammen mit Hortense Vignal vor dem Haus der Psychologin vorgefahren war. Vom zweiten Raum führte eine kleine Tür ab, vermutlich zum Bad, falls es so etwas hier gab.
»Also, Mademoiselle«, wandte sich LaBréa an Hortense Vignal. »Ich wiederhole meine Frage von vorhin: Wer wohnt außer Ihnen noch hier?«
Hortense Vignal ließ sich auf die Couch fallen.
»Eigentlich muss ich Ihnen darauf keine Antwort geben. Aber meinetwegen: Wir sind zu viert. Ich, Justine, Renée und Gerda. Gerda kommt aus der Schweiz und studiert hier an der Uni. Im Moment besucht sie ihre Eltern in Bern.«
Ohne Umschweife kam LaBréa zur Sache.
»Wem gehört die Yamaha unten im Hof?«
Justine ließ das Küchenmesser sinken, zögerte kurz und tauschte einen schnellen Blick mit Hortense Vignal. »Mir«, sagte sie schließlich.
»Gut. Da wir nun wissen, dass Sie zu den berüchtigten Sprayerfrauen gehören, die in einem Akt symbolischer Kastration Selbstjustiz und Rache an Vergewaltigern üben, will ich Ihnen mal eine Geschichte erzählen.« In knappen Worten schilderte er das Geschehen
der letzten vierundzwanzig Stunden, erwähnte jedoch weder den Fund der Musikkassetten noch den Namen Masson. Dafür sparte er nicht mit Details und beschrieb ausführlich das blutige Gemetzel, das der Mörder mit den beiden Männern veranstaltet hatte. Zum Schluss legte er das Foto des Unbekannten auf den Tisch. »Das ist der Mann, der heute Morgen gefunden wurde. Auf dem Fabrikgelände in der Rue du Château d’Eau. Gleich hier um die Ecke. Kennen Sie ihn?«
Hortense nahm das Polaroid in die Hand und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Nie gesehen.«
»Und Sie, Mademoiselle?« LaBréa nahm das Foto und zeigte es der Frau namens Justine.
»Den kenne ich nicht«, sagte sie voller Überzeugung, als sie das Bild betrachtete.
»Was machen Sie beruflich?«, wollte LaBréa wissen.
»Ich studiere. Philosophie.« Sie tippte mit dem Zeigefinger auf den Schriftzug ihres T-Shirts. »Sartre«, sagte sie ein wenig von oben herab. »Sein berühmter Satz aus dem Stück Bei geschlossenen Türen , falls Sie es nicht wissen sollten.«
»Wir wissen es«, erwiderte Claudine trocken. »Aber nicht immer sind die anderen die Hölle, Mademoiselle.«
»Ach ja?«, fragte Hortense Vignal und schob provozierend das Kinn vor. Dann fing sie an zu grinsen.
»O Mann«, sagte sie. »Das ist ja der Hammer! Da hat jemand diesen beiden Typen also tatsächlich ihre Dinger abgesäbelt!«
»Wo waren Sie heute Nacht zwischen halb elf und ein Uhr, Mademoiselle Vignal?« LaBréas Stimme klang schneidend.
Sofort verschwand das Grinsen aus dem Gesicht der Frau. Sie beugte sich vor und tippte sich an die Stirn. »Sagen Sie mal, Sie ticken wohl nicht richtig?! Mit so was haben wir nichts zu tun. Keine von uns, damit das klar ist! Im Übrigen war ich den ganzen Abend hier. Zusammen mit Justine und Renée. Wir sind ziemlich zeitig ins Bett gegangen.«
»Um ausgeschlafen zu sein?«, hakte Claudine nach. »Weil Sie einem gewissen Paul Ducros, Exehemann einer Frau, die gestern vergewaltigt wurde, heute früh einen Besuch abstatten wollten und das auch getan haben?«
Hortense Vignal fingerte eine Zigarette aus einer Packung, die auf dem Tisch lag, und zündete sie an. »Denken Sie, was Sie wollen«, sagte sie und stieß den ersten Rauch aus. »Mit der Kastration Ihrer beiden Mordopfer jedenfalls haben wir nichts zu tun. Nicht mal mit’ner Kneifzange würde ich den Schwanz von irgendwelchen Typen anfassen. Geschweige denn abschneiden.« Sie lachte kurz auf. »Aber ich finde es toll, dass das jemand gemacht hat.«
LaBréa deutete auf das Plakat an der Wand. »Und auf diese Weise die sinnige Botschaft, die dieses Plakat
übermittelt, in die Tat umgesetzt hat. › Entwaffnet Vergewaltiger! ‹ Das ist eindeutig, oder nicht, Mademoiselle? Frei übersetzt heißt das doch: Schwanz ab!«
»Hören Sie, Mann, das ist ein altes Plakat aus der Frauenbewegung der
Weitere Kostenlose Bücher