Todeswald
in der Schule?“
Bestimmt würde sie sich nicht mit dem üblichen „gut“ begnügen.
„Anstrengend. Der Rektor hielt eine Ansprache, wir hatten eine Schweigeminute, machten Kerzen an, zeichneten und unterhielten uns.“
„Und wie fühlst du dich jetzt?“
Als Antwort seufzte ich und sah auf den Boden.
„In der Zeitung steht was über Mikaela“, sagte ich, nachdem ich mich wieder gefangen hatte.
„Hast du sie gekauft?“
„Ja, beide Abendzeitungen. Sie liegen in der Küche.“
„Ich lese sie nachher.“
Sie wartete. Mir war klar, dass sie weiterarbeiten wollte. Gleichzeitig empfand sie wahrscheinlich die Verpflichtung, als Mutter zu trösten, zuzuhören und anwesend zu sein.
„Wie hieß der Ort, wo wir im Sommer das Ferienhaus gemietet haben?“, fragte ich.
Dies war keine Frage, die sie erwartet hatte. Sie sah mich erstaunt an, bevor sie die Arme zu einer Geste erhob, die leicht zu deuten war.
„Ich und Ortsnamen!“
„Hieß er nicht Lillsjön?“
Sie stöhnte leicht.
„Keine Ahnung.“
„Hast du das nirgends aufgeschrieben?“
„Doch, hab ich bestimmt, aber jetzt gerade hab ich keine Zeit, danach zu suchen.“
Jetzt klang sie eindeutig ärgerlich.
„Ich kann danach suchen“, schlug ich vor.
„Hab keinen Schimmer, wo du suchen sollst. Warum willst du das wissen?“
„Im Sommer wurde bei Lillsjön ein Mädchen ermordet. Genau wie Mikaela.“
„Und?“
„Na ja, so halt.“
„Bitte, Svea, lass mich das hier zu Ende bringen. Ist doch bestimmt nicht so wichtig, ob du eine oder zwei Stunden wartest. Ich schau später nach.“
Ich jedenfalls fand es unheimlich, dass nicht nur ein, sondern zwei junge Mädchen in meiner nächsten Nähe ermordet worden waren.
Verärgert schlug ich die Tür übertrieben laut hinter mir zu, glaube aber kaum, dass sie das merkte.
Ich hatte keine Lust zu warten.
Da fiel mir etwas ein. Ich könnte ja Papa anrufen.
Er meldete sich sofort, als hätte er auf meinen Anruf gewartet.
„Hallo, Spatz! Wie sieht’s aus bei euch?“
„Gut.“
Warum sagt man das immer? Hier war doch überhaupt nichts gut. Mikaela war tot.
„Ich hab gehört, dass sie Mikaela gefunden haben“, sagte er ernst.
„Mhm.“
„Warst du schon dort?“
„Ja. Aber der Wald ist abgesperrt. Eine Menge Leute waren da.“
„Vor Mikaelas Haus auch?“
„Nein, nur zwei Fotografen, die darauf warten, dass jemand rauskommt. Und vor der Einfahrt stehen mehrere Autos.“
„Die geben nie auf.“ Papa seufzte. „Haben sie dir etwa auch mit ihren Fragen zugesetzt?“
„Ich hab mich abseits gehalten, als sie die Leute bei der Absperrung interviewten. Aber die Autos an der Einfahrt gehören wahrscheinlich Mikaelas Verwandten.“
„Ihre Eltern werden alle Unterstützung brauchen, die sie bekommen können. Und du?“
„Was denn?“
„Wie geht es dir?“
„In der Schule hat das Krisenteam mit uns gesprochen.“
„Gut.“
Kurz sauste nur Stille durch die Luft.
„Hör mal, Papa, wie hieß dieser Ort noch mal, wo wir im Sommer Ferien gemacht haben? Das war doch Lillsjön, oder?“
„Warum fragst du das?“
Plötzlich klang seine Stimme irgendwie schärfer. Oder bildete ich mir das bloß ein?
Die ganze Geschichte strömte aus mir heraus – ich hätte in der Zeitung über dieses Mädchen gelesen, das genau wie Mikaela zuerst verschwunden gewesen und dann tot aufgefunden worden sei.
„Und was für eine Bedeutung soll das haben?“, fragte er, als ich zu Ende erzählt hatte.
„Na ja, bloß so halt. In der Zeitung stand, da könnte ein Zusammenhang bestehen.“
„Und?“
„Also …“
Ich konnte es nicht erklären.
„Das war doch Lillsjön, oder?“, sagte ich stattdessen.
„Ich glaube nicht.“
„Aber wie hieß der Ort denn dann?“
„Weiß ich nicht mehr.“
„Aha“, sagte ich enttäuscht.
Ich überlegte kurz. Der Streit, den ich gestern Abend belauscht hatte, ging mir nicht aus dem Kopf.
„Da ist noch etwas. Ich hab gehört, wie Mikaelas Mutter und Samuel Wester sich gestritten haben.“
„Wie konntest du das hören?“
„Die Terrassentür stand offen.“
„Warst du in ihrem Garten?“
„Ja, aber …“
„Was um alles in der Welt hattest du dort verloren?“
„Ich hab mein Fahrrad gesucht.“
„In deren Garten?“
„Ja, ich hab nämlich geglaubt, Mikaela hätte es mir … aber jedenfalls … ich hab gehört, wie Mikaelas Mutter Samuel Wester gefragt hat, ob er etwas mit Mikaelas Verschwinden zu tun hat. Da ist er stinkwütend
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