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Todeswald

Todeswald

Titel: Todeswald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ritta Jacobsson
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unverbesserliche Romantikerin ist, doch das konnte Linus ja nicht wissen. Stattdessen könnte er zu der Schlussfolgerung kommen, dass ich:
    1. bisher nur mit unerfreulichen Jungs verkehrt hatte,
    2. mit vielen Jungs zusammengewesen war,
    3. verzweifelt auf der Jagd nach netten Jungs gewesen war.
    Ohne die Blicke zu bemerken, die Mama und ich wechselten, plapperte Oma fröhlich weiter.
    „Und wie geht’s in der Schule?“
    „Gut“, murmelte ich.
    „Und ihr beiden, Janne und Afrodite, seid immer noch zwei Sportskanonen?“
    Papa und ich sahen uns kurz an.
    „Ja“, antwortete Papa.
    Oma nickte zufrieden.
    Sie drängte uns, noch mehr zu essen, und redete weiter über irgendeinen Nachbarn – „Erinnerst du dich an ihn, Stella?“ –, der sich gerade scheiden ließ. Und Opa wusste über ein Haus in der Nachbarschaft zu berichten, das zum Verkauf stand, und erging sich in Überlegungen, wie viel es bringen würde. Und Mama erzählte über ihre Kunstwerke.
    Das Essen verlief wie üblich unter endlosem Geschwafel.
    Eine Stunde später räumten Linus und ich den Tisch ab. Mama und Oma waren in der Küche beschäftigt, Papa und Opa deckten im Wohnzimmer den Kaffeetisch.
    „Echt eine Erholung für die Ohren“, bemerkte ich mit einem Seufzer.
    „Eigentlich bräuchten die einen Moderator“, meinte Linus. „Aber dein Vater, der war cool.“
    „Wieso?“
    „Also, ich meine“, fuhr er fort, „er hat einfach genickt und die anderen reden lassen.“
    Das stimmte tatsächlich. Papa hatte nicht viele Worte verloren.
    Linus fand das cool.
    Ich dagegen fand es eigenartig. Sonst ist Papa alles andere als schweigsam, er ist genauso gesprächig wie wir anderen.
    Nach und nach fanden sich alle im Wohnzimmer ein, um Zimtschnecken, Kuchen und Torte zu futtern, was das Zeug hielt – eine unfassbare Leistung im Hinblick auf das viele Essen, das wir vor einer Stunde erst verschlungen hatten.
    Plötzlich hielt Oma mit der Tortengabel inne, die sich gerade auf dem Weg zu ihrem Mund befand, legte sie wieder auf den Teller, holte tief Luft und sagte:
    „Entschuldigt, wenn ich wieder darauf zurückkomme, aber ich mache mir solche Sorgen. Afrodite ist doch hoffentlich abends nicht allein unterwegs? Bei euch drüben passiert so viel.“
    „Aber Mama, du klingst ja so, als würde es in unserer Gegend nur so von Gewaltverbrechern wimmeln.“
    „Ihr wohnt immerhin in der Nähe von Hall.“
    „Mama, das ist doch ein Gefängnis!“
    „Aber in der Zeitung stand etwas über Männer, die versuchen, junge Mädchen in ihre Autos zu locken. Ich hab mir schon im Sommer solche Sorgen gemacht, als ihr dort bei … wie hieß das doch gleich … bei Lillsjön Urlaub gemacht habt. Da ist doch auch ein Mädchen …“
    Mama unterbrach Oma.
    „Davon haben wir nichts gemerkt.“
    „Ja, aber stellt euch vor, wenn Afrodite etwas zustoßen würde …“
    Papa erhob sich hastig.
    „Jetzt ist es aber genug!“
    Er entfernte sich in Richtung Bad und schlug die Tür hinter sich zu.
    „Ach du liebe Zeit“, sagte Oma unglücklich. „Ich wollte doch bloß sagen …“
    „… dass du dir Sorgen machst“, beendete Mama für sie den Satz. „Und das tut Janne auch. Svea ist sein Ein und Alles.“
    Sie tätschelte Oma die Hand.
    „Sprechen wir über was anderes.“
    Als Papa zurückkam, waren Mama und Oma in die Vorbereitungspläne für erstens meinen Geburtstag und zweitens Weihnachten vertieft. Beides findet nämlich kurz nacheinander statt.
    Papa nahm wieder Platz und schaute angespannt in die Runde, bereit, seinen Wutanfall zu verteidigen, entspannte sich aber, als niemand außer mir von ihm Notiz nahm. Aber in mir nagte die Unruhe. Warumwar er so schweigsam? Und warum regte es ihn so auf, als Oma den Mord bei Lillsjön und den an Mikaela erwähnte?
    Ich musste noch einmal an den Schatten auf Papas Auto denken, der wie eine Beule ausgesehen hatte, und an den Glassplitter. An dem Auto, das Glöckchen überfahren hatte, musste sich auch eine Beule befinden. Und derjenige, der Glöckchen überfahren hatte, hatte vielleicht auch Mikaela ermordet.
    Ich sah Papa an und fragte mich, ob jetzt im Moment irgendwo ein anderes Mädchen ihren Vater anschaute, ohne zu wissen, dass sie einen Mörder vor sich hatte.
    Mein Vater war nämlich nicht schuldig. Unabhängig davon, ob sein Auto eine Beule gehabt hatte oder nicht, war er an jenem verhängnisvollen Abend meilenweit von hier entfernt gewesen.
    Aber er benahm sich seltsam und ich verstand nicht, warum.

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