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Todeswald

Todeswald

Titel: Todeswald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ritta Jacobsson
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37
    Nach den Herbstferien nahm der Alltag mit ruhigen, ereignislosen Tagen seinen Lauf. Im Unterricht ging es ungewöhnlich friedlich zu. Ausnahmsweise verhielten sich alle so, wie man sich in der Schule verhalten soll. Das heißt, sie lernten. An den Freitag wollte niemand denken.
    An Mikaelas Beerdigung.
    Wir hatten die ganze Woche Zeit, um einen Aufsatz über unsere Erinnerungen an Mikaela zu schreiben. Per Lundström würde die Aufsätze nach der Beerdigung an Mikaelas Mutter überreichen.
    Ich schrieb darüber, was Mikaela und ich gemacht hatten, als wir klein waren. Über unsere Ausflüge, über Monopolyspiele und Schlittenfahren. Und darüber, dass wir viel zusammen gelacht hatten.
    In den Zeitungen wurde die Jagd nach Mikaelas Mörder nicht einmal mehr mit einer kurzen Notiz erwähnt. Es gab ja immer wieder neue Sensationen. Die Schlagzeilen berichteten mit fetten schwarzen Lettern über eine Pille, die beim Abnehmen Wunder bewirkte. Und in einem Altersheim war ein alter Mann auf dem Klo vergessen worden. Und ein Typ aus einer Soap hatte sich wieder mal blamiert. Keine Ahnung, wer er war oder was er getan hatte.
    Morgen war Freitag, der Tag, auf den ich mich normalerweise immer freute.
    Diesmal aber nicht.
    Ich ging früh zu Bett. Wuff legte sich dicht neben mich, warm wie ein Ofen, und schlief mit zufriedenem Knurren ein. Schließlich wurde es mir zu warm. Ich ging ans Fenster und öffnete es.
    Die kühle Luft quoll herein und brachte einen schwachen Duft nach Rauch mit. Irgendjemand hatte Reisig und Zweige verbrannt.
    Nach der Beerdigung würde es leichter werden, weiterzumachen.Zumindest für uns andere, obwohl wir natürlich an sie denken und uns an sie erinnern würden.
    Aber das Leben von Mikaelas Mutter war für immer verändert.
    Wie würde meine Mutter weiterleben können, wenn ich sterben würde?
    Ich stellte sie mir in einem leeren Haus vor, mit Wuff auf den Fersen. In meiner Fantasie sah ich sie auf meinem Bett sitzen und über meine Schmusetiere Tränen vergießen. Würde sie es schaffen, weiterhin bei ihren blau-weißen Bildern zu bleiben, oder würde sie ab da alles in Schwarz malen?
    Wie hatte Mikaelas Mutter die Nachricht erhalten? Durch ein schrill läutendes Telefon? Oder hatte die Polizei an der Tür geklingelt und gefragt, ob sie hereinkommen dürften, um ihr mitzuteilen, dass ihre Tochter nie mehr die Türen hinter sich zuschlagen und sie anschreien würde, sie sei eine nervige Mutter?
    Ich stand vor dem offenen Fenster und schniefte. Wahrscheinlich hatte ich mich erkältet.
    Erst als ich nach einem Papiertaschentuch suchte, merkte ich, dass ich weinte.
    Ich weinte über meine Mutter, falls sie mich je verlieren würde, und über alle Mütter, die ihre Kinder verloren hatten.
    Und über Mikaela.
    Unsere Geborgenheit war zerstört. Mikaelas Mörder befand sich immer noch auf freiem Fuß.
    In diesem Moment stand mein Entschluss fest. Ich musste weitermachen, musste versuchen herauszufinden, wer Mikaela umgebracht hatte. Ich hatte ja angefangen, die Spuren zu sichten und zu sortieren, hatte dann aber klein beigegeben, aus lauter Angst vor der Wahrheit. Jetzt musste ich weitermachen.
    Das war ich Mikaela schuldig. Wie sonst sollte ich ihre Beerdigung überstehen?
    Und wie sonst sollte ich mein eigenes Leben weiterleben können, mit den vielen ungeheuerlichen Verdächtigungen, die mein Innerstes aushöhlten wie ein Wurm einen Apfel?

KAPITEL 38
    Ich hatte Bauchschmerzen. Aber da die ganze Klasse zu Mikaelas Beerdigung gehen würde, konnte ich nicht als Einzige wegbleiben.
    Ich war bisher auf zwei Beerdigungen gewesen, die von Großmutter und Großvater, aber damals war ich noch klein und inzwischen konnte ich mich kaum daran erinnern. Als meine Großeltern starben, waren sie jünger gewesen, als Oma und Opa jetzt sind, hatten aber dennoch schon viel erlebt. Im Vergleich zu Mikaela.
    Mikaela hätte ebenfalls noch viele Jahre leben sollen, hätte sich mit ihrer Mutter herumstreiten, Jungs aufreißen, feiern und lachen sollen.
    Mama nickte anerkennend zu meiner Kleiderwahl. Schwarze Jeans und ein weißer gestrickter Baumwollpulli mit Zopfmuster und langen Ärmeln. Sie selbst trug ein schwarzes Kostüm mit einer weißen Bluse.
    „Ich will da nicht hin“, sagte ich.
    „Das kann ich gut verstehen“, sagte sie. „Aber ich hätte es auch geschätzt, wenn deine Klassenkameraden zu deiner …“
    Sie schaffte es nicht, den Satz zu beenden.
    Ernst und schweigsam fuhren wir zur Kirche. Die Trauer

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