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Todeswald

Todeswald

Titel: Todeswald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ritta Jacobsson
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lag mir wie ein großer Kloß im Magen. Zehn Minuten später gingen wir langsam über den Parkplatz auf die weiß verputzte Kirche zu, während der Himmel über Mikaela weinte.
    Nasse Jacken, Mützen und Schals wurden abgelegt, es wurde gehustet und geschnäuzt und mit dem Gesangbuch geraschelt.
    Dann trat Stille ein.
    Wir, ihre Freunde und Nachbarn, saßen ganz hinten. Die nächsten Hinterbliebenen kamen als Letzte in die Kirche und wanderten den Mittelgang nach vorn zu ihren Plätzen, während wir anderen aufstanden und versuchten, sie nicht anzustarren.
    Samuel Wester musste Mikaelas Mutter fast tragen. Wäre er nichtan ihrer Seite gewesen, hätte sie keinen einzigen Schritt geschafft. Hinter ihr kam ein Mann, der Mikaela ähnlich sah. Das war Mikaelas Vater. Er hatte eine neue Familie, doch die war nicht dabei.
    Die Orgel spielte eine stille, schöne Melodie, die ich wiedererkannte.
    Jo stand wie angeklebt an meiner Seite. Hinter uns schluchzte jemand. Ich spürte, dass Jo ihre Tränen zitternd zurückzuhalten versuchte. Das ging nicht. Ihr erstes Schluchzen steckte mich sofort an. Tränen schossen mir aus den Augen und tropften auf das Gesangbuch in meinen Händen.
    Die Tränen breiteten sich wie ein Lauffeuer in der Klasse aus. Sogar Micke und Ranjan weinten.
    Die Musik verstummte, der Pfarrer begann zu reden.
    Wir bemühten uns, leise zu schluchzen, um nicht zu stören, und das gelang uns wohl so einigermaßen, aber ich hörte kein Wort. Mein Kopf war so voller Trauer, dass er nichts mehr aufnehmen konnte.
    Es war so ungerecht, dass Mikaela inmitten eines Meeres aus Blumen und Kränzen dort in dem Sarg lag.
    Und als es Zeit für ein Gebet war, presste ich die Hände fest zusammen, bis meine Knöchel weiß wurden, und betete darum, dass derjenige, der Mikaela umgebracht hatte, gefunden werden möge.
    Und ich betete noch ein zusätzliches Gebet, noch flehentlicher:
    Lieber Gott, wer es auch sein mag, mach, dass es nicht mein Papa war!

KAPITEL 39
    Am Nachmittag des Beerdigungstages kam Papa schon um drei nach Hause. Er klopfte an meine Tür und öffnete sie sachte.
    Ich lag in einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen auf dem Bett.
    „Bist du bereit?“, fragte er.
    Die Trauer hatte mir alle Kraft geraubt. Ich konnte kaum sprechen.
    „Wofür?“, krächzte ich.
    „Fürs Hallenbad natürlich. Wie immer.“
    „Wie immer“, wiederholte ich mit dünner Stimme.
    Aber ich blieb liegen.
    „Na komm, auf geht’s!“, sagte Papa.
    Mama stand hinter Papa und nickte mir ermunternd zu.
    „Zieht los, dann koche ich solange was Gutes für euch.“
    Ich suchte meine Sachen zusammen. Bestimmt war das Papas Art, mich zu trösten. Er fragte nicht nach der Beerdigung – Mama hatte vermutlich schon alles erzählt. Das war eine Erleichterung. Ich hätte es nicht geschafft, darüber zu reden.
    Als wir ins Hallenbad kamen, war Lina schon im Schwimmbecken. Sie schoss im Rennboottempo kraulend durchs Wasser, als ginge es um einen Wettkampf. Dann stoppten wir uns alle gegenseitig in fünfzig Meter Schmetterlingsstil und hundert Meter Brustschwimmen, später stoppte Papa noch Lina und mich in Brustschwimmen und Kraulen. Lina gewann beide Male. Ich war nicht in Form.
    Weil Lina dabei war, unterhielten wir uns vor allem über Autos. Lina ist genau so ein Autofan wie Papa und ich.
    Alles war wieder ganz normal.
    Als wir beim Auto ankamen und Papa unsere Sporttaschen im Gepäckraum verstaute, sah ich auf dem Autoboden ein Stück Papier herumliegen. Es war unter der Gummimatte eingeklemmt, sodass nur ein kleines Eck hervorschaute.
    Ich hob es auf und steckte es in die Tasche, ohne es anzuschauen.
    Papa stieg ein.
    „So, jetzt bin ich wieder fit“, sagte er und ließ den Motor an.
    „Stell dir vor, welche Kondition du hättest, wenn du jeden Freitag mitkämst.“
    „Hör mal, Nisse, ich kann doch nichts dafür, wenn ich manchmal keine Zeit habe. Außerdem hast du ja Lina, mit der du schwimmen kannst.“
    „Wenn du dabei bist, macht es viel mehr Spaß.“
    Er warf mir einen raschen Blick zu, als versuchte er an meinem Gesicht abzulesen, warum ich so brummig klang.
    „Das finde ich auch, aber du kannst eben nicht immer mit mir rechnen.“
    „Weil ich dir scheißegal bin!“
    „Bitte, Nisse, werd nicht schon wieder sauer! Es war doch jetzt gerade so schön. Reicht das denn nicht?“
    Meine gute Laune war wie weggeblasen.
    „Ich bin nicht sauer.“
    „Soso. Fröhlich wie eine Lerche im Frühling.“
    „Aber was soll ich denn

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