Todeszauber
keine Schuld an ihrem Tod.«
»Es ist doch gar nicht sicher, dass Ihr Mann dabei war.«
Sie nickt heftig. »Ich habe ihn gesehen. Auf dem Film.«
»Wo?«, fragen Wilsberg und ich fast gleichzeitig.
»Der Mann aus dem Publikum, den der Zauberer auf die Bühne gebeten hat, um die Knoten zu überprüfen, das war mein Mann.«
»Der ist mir gar nicht aufgefallen«, sagt Wilsberg.
»Wenn sie an dem Abend nicht gestorben ist, sondern erst einen Tag später, wer hat sie dann umgebracht?«, fragt Anna.
»Die Polizei glaubt, dass es Miguel war. Ein Kollege von Isabel …«
»Miguel Lopez?«, unterbricht mich Anna. Sie starrt mich mit großen Augen starrt an.
»Ja«, sage ich. »Kennen Sie ihn?«
»Natürlich. Aus Kuba. Aber Miguel würde Isabel nie im Leben etwas antun. Sie kennen sich seit vielen Jahren. Das glaube ich nicht.«
»Die Kripo sieht das anders. Miguel ist gestern bei der Flucht vor der Polizei aus einem Fenster gestürzt. Und liegt jetzt im Universitätsklinikum Eppendorf …«
Anna scheint mir nicht mehr zuzuhören. Sie sitzt auf meiner kleinen schwarzen Couch und starrt vor sich hin. Als würde sie über irgendetwas ganz intensiv nachdenken.
»Anna«, sage ich und greife nach ihren Händen. »Anna. Ich muss Ihnen noch etwas sagen.«
Sie sieht hoch und mich an. Aber eigentlich sieht sie durch mich hindurch.
»Anna«, sage ich und nehme innerlich Anlauf. »Anna, Isabel war schwanger, als sie starb.«
Ihr Blick ist immer noch auf unendlich gestellt. Und dann scheint das, was ich gerade gesagt habe, langsam in ihr Bewusstsein vorzudringen. Ihre Augen füllen sich mit Tränen.
»Anna«, sage ich. »Könnte Miguel der Vater sein?«
Doch ich bekomme keine Antwort. Sie schlägt sich die Hände vor das Gesicht und schluchzt laut auf.
Während der Taxifahrt zu Reichweilers Büro stehen Wilsberg und ich immer noch unter dem Eindruck von Annas Gefühlsausbruch. Sie hat sich auf der Toilette eingesperrt, laut geweint und weder auf unser Rufen noch auf unser Klopfen reagiert. Selbst Cornfeld konnte sie nicht dazu bringen, herauszukommem. Also haben wir sie in Ruhe gelassen, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann beruhigt. Ich konnte gut nachvollziehen, wie schlimm die Vorstellung für sie sein musste, nicht nur die Schwester, sondern auch die Nichte beziehungsweise den Neffen verloren zu haben.
Wilsberg, der neben mir im Fond des Taxis sitzt, hängt seinen Gedanken nach. Als ich ihn heute Morgen anrief, haben wir lange über Rosenberg geredet. Wilsberg hat mich beruhigt und mir meine Schuldgefühle ausgeredet. Was ich sehr lieb und in dieser Situation als sehr hilfreich empfand. Für einen kurzen Moment war tatsächlich so etwas wie Nähe entstanden. Wir waren ohne spitze Bemerkungen, Verdächtigungen und Unterstellungen ausgekommen. Ein ausgesprochener Fortschritt.
Aber dass er jetzt so ruhig und in sich gekehrt dasitzt, gefällt mir nicht. Worüber denkt er nach? Über unseren Fall? Oder über die Tatsache, dass Anna die Nacht mit Cornfeld verbracht hat? Und schon wieder ist es da, dieses dumpfe, nagende Gefühl, ihm nicht vertrauen zu können. Ich überlege, ob ich ihm das Ergebnis der Knochenanalyse mitteilen soll. Entschließe mich dann aber, es nicht zu tun. Wahrscheinlich hat der Waran sowieso nichts mit Isabels Tod zu tun.
Reichweilers Sekretärin macht uns keine großen Hoffnungen, ohne Termin bei ihrem Chef vorgelassen zu werden. Immerhin greift sie zum Telefonhörer.
Nachdem sie wieder auflegt hat, lächelt sie uns herablassend an. »Herr Reichweiler hat leider keine Zeit.«
Mit einem manierierten Gesichtsausdruck wendet sie sich ihren Unterlagen zu, als hinter Reichweilers geschlossener Bürotür ein Riesenkrach losbricht. Ein Mann und eine Frau schreien sich an. Der Mann ist eindeutig Reichweiler, die Frauenstimme kann ich nicht zuordnen.
Wilsberg und ich werfen uns einen kurzen Blick zu, dann stürmen wir zur Tür, reißen sie auf und stehen Frau und Herrn Reichweiler gegenüber, die sich so zoffen, wie das nur langjährige Ehepaare können. Die Sekretärin, die uns gefolgt ist, versucht, mit aufgeregt quietschender Stimme unser unbefugtes Eindringen zu erklären. Mit einer genervten Handbewegung bedeutet Reichweiler ihr, das Zimmer zu verlassen.
»Was wollen Sie?«, fragt er barsch.
Seine Frau zieht sich an eines der Fenster zurück und bleibt dort, gegen das Fensterbrett gelehnt, stehen.
»Eigentlich hätten wir uns ganz gern mit Ihnen allein unterhalten.«
»Wenn Sie
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