Todeszauber
nicht.«
»Von Sandleben hat uns gelinkt«, schimpfe ich, kaum dass wir das Haus verlassen haben. »Die hat überhaupt keine Vögel …«
»Ist dir die Erde vor der Tür zum Garten aufgefallen?«, fragt Wilsberg.
Ich nicke. »Aber das hilft uns auch nicht weiter. Es gibt keinerlei Indizien dafür, dass Cornfeld und Anna im Haus gewesen sind. Außerdem kann ich dieses verdammte Auto nirgends sehen.«
»Vielleicht hat die Reichweiler es irgendwo versteckt.«
Ich sehe mich suchend um. »Ja. Aber wo?«
Wir einigen uns darauf, einen letzten Versuch zu starten und sämtliche Seitenstraßen der näheren Umgebung abzufahren. Diesmal besteht Wilsberg allerdings darauf, dass er sich ans Steuer setzt. Als wir nach zehn Minuten immer noch nicht fündig geworden sind, ist seine Geduld am Ende.
»Es reicht«, sagt er entnervt. »Von Sandleben …«
»Stopp«, schreie ich und Wilsberg legt eine Vollbremsung hin, sodass ich fast mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe knalle. »Da ist er. Hinter dem VW-Bus.«
Ich reiße die Tür auf, springe aus dem Auto und laufe zu dem Bus, der in der breiten, dunklen Einfahrt eines Mehrfamilienhauses geparkt ist. Und dann stehe ich vor dem Cayenne. In seiner ganzen Pracht und Herrlichkeit. Irgendjemand hat ihn passgenau hinter dem alten Bus geparkt, sodass er von der Straße aus kaum auffällt. Eins ist sicher, Cornfeld hat ihn hier garantiert nicht abgestellt.
Diesmal nähern wir uns Reichweilers Wochenenddomizil zu Fuß. Immer den Schutz von Hecken, Büschen und Bäumen nutzend. Ungesehen schaffen wir es bis zum Haus und drücken uns an der langen Seite der Außenmauer Richtung Garten entlang, bücken uns unter den Fenstern hinweg und hoffen, nicht von irgendwelchen Nachbarn entdeckt zu werden, die die Polizei rufen, weil sie uns für Einbrecher halten. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, an der Rückfassade hoch in den ersten Stock zu gelangen, überlege ich. Oder wir finden einen Zugang zum Keller. Irgendwo müssen Cornfeld und Anna doch sein.
Wir kommen nicht weit. Vor uns taucht jemand auf. Im Gegenlicht der Gartenbeleuchtung zeichnet sich eine schwarze Silhouette ab. Irritiert blinzele ich und versuche, das Gesicht des Mannes zu erkennen, der sich da bedrohlich vor uns aufgebaut hat.
Als sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt haben, kann ich nicht glauben, was ich sehe: Da steht Miguel. Der Miguel, der eigentlich mit schwersten inneren Verletzungen auf der Intensivstation des UKE liegen müsste.
31
Wilsberg geht ins Wasser
»Miguel?«, fragte Pia ungläubig.
Er war es tatsächlich. Bis auf die exakt gleiche Haarlänge sah er aus wie der Mann, der an der Hauswand im Schanzenviertel geklebt hatte. Nur war der flehende Gesichtsausdruck, mit dem er Pias Herz erweicht hatte, einem höhnischen Grinsen gewichen. Kein Zweifel, vor uns stand Miguel. Doch wieso konnte er sich bewegen, als wäre er nie fünf Meter in die Tiefe gestürzt? Hatte er nur simuliert, sich überhaupt nicht verletzt? War es möglich, die Ärzte derart zu täuschen? Und wie war es ihm gelungen, aus dem Krankenhaus zu entkommen? Lademann hatte sicher dafür gesorgt, dass sein Zimmer bewacht wurde, schließlich hielt er Miguel für einen Mörder.
»Miguel, wieso bist du …«
»You made a mistake.« Er trat näher an Pia heran und sie wich einen Schritt zurück. Trotz seiner geringen Größe ging von ihm beinahe physisch spürbar Gefahr aus. Der Mann war pure Aggressivität, aus dem hilflosen Jungen, der um sein Leben fürchtete, war eine testosterongeladene Kampfmaschine geworden.
Ich machte einen Schritt zur Seite, um mich zwischen Pia und Miguel zu schieben. Es war alles andere als ein Plan, eher ein Reflex. Und ich war viel zu langsam, um den Schlag abzuwehren. Seine Faust traf meine Nase mit einer Wucht, die mich sofort auf die Verliererstrecke brachte. Ich wusste, dass etwas gebrochen war, obwohl ich es nicht überprüfen konnte, denn er ließ mir keine Zeit dazu. Ein Hagel von Schlägen auf Magen und Oberkörper raubte mir die Luft, bis ich umkippte. Der Kampf, der gar keiner gewesen war, hatte weniger als zehn Sekunden gedauert. Das Letzte, was ich bewusst mitbekam, war ein Fußtritt in die Rippen.
»Bist du okay?«
Was für eine seltsame Frage. Schmerz waberte durch meinen Körper, ohne dass ich die Quelle ausmachen konnte. Mal war es die Nase, die am heftigsten pochte, mal eine Stelle unterhalb des Herzens. Ich versuchte, den Arm zu heben, aber es ging nicht. Meine Hände
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