Todeszeit
widerspenstigen Knöpfe fluchend, zog er sich das Hemd aus, unter dem er ein T-Shirt trug. Wahrscheinlich hätte ihn Jimmy Nall ohnehin gezwungen, das Ding auszuziehen, um sich zu vergewissern, dass darunter keine Waffe verborgen war.
Mitch hatte die Anweisung erhalten, unbewaffnet zu kommen, und er wollte sich den Anschein geben, dass er gehorchte.
Aus dem Müllbeutel holte er die Schachtel mit der Munition, aus der Hosentasche das Originalmagazin der Springfield Champion. Zu den sieben Patronen, die schon darin steckten, fügte er noch drei hinzu.
Als er damit fertig war, fiel ihm eine Szene aus irgendeinem Gangsterfilm ein. Geradezu fachmännisch zog er den Schlitten zurück und legte eine elfte Patrone direkt in die Kammer ein.
Da die Patronen ihm ständig aus den schwitzenden, zittrigen Fingern rutschten, reichte die Zeit nur aus, um zwei der drei Ersatzmagazine zu bestücken. Anschließend verstaute er die Munitionsschachtel und das letzte Magazin unter dem Fahrersitz.
Eine Minute vor zwei Uhr.
Er steckte sich die beiden geladenen Magazine in die Hosentaschen. Die geladene Pistole tat er zu dem Geld in den Müllbeutel, drehte diesen oben zu, ohne ihn zu verknoten, und fuhr die restlichen Meter bis zu seinem Ziel.
Ein langer, zum Sichtschutz mit grünen Plastikplanen
versehener Maschendrahtzaun schirmte das riesige Anwesen von der Straße ab. Die Anwohner, die seit Jahren mit dieser Scheußlichkeit leben mussten, wünschten sich wahrscheinlich, der gescheiterte Unternehmer hätte sich nicht umgebracht, wenn auch nur, damit sie ihn mit Gerichtsverfahren und nachbarschaftlichen Schmähungen überziehen konnten.
Um das geschlossene Tor war eine Kette geschlungen. Wie Jimmy Nall angekündigt hatte, war sie nicht mit einem Vorhängeschloss gesichert.
Mitch fuhr die Einfahrt hinauf und stellte den Wagen so ab, dass das Heck dem Haus zugewandt war. Er stieg aus und öffnete alle fünf Türen, um damit seine Bereitschaft auszudrücken, sich nach bestem Wissen und Gewissen an die Abmachung zu halten.
Anschließend ging er zum Tor zurück und schlang die Kette wieder darum.
Den Müllbeutel in der Hand, ging er ein Stück weit auf das Haus zu, blieb stehen und wartete.
Der Tag war warm, nicht heiß, doch die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Das Licht und der Wind stachen ihm in die Augen.
Ansons Handy läutete.
Mitch nahm ab. »Ich bin’s.«
»Es ist eine Minute nach zwei«, sagte Jimmy Nall. »Genauer gesagt, sind es jetzt schon zwei Minuten. Du kommst zu spät.«
65
Das unvollendete Haus war so groß wie ein Hotel. Jimmy Nall konnte hinter jedem der vielen Fenster stehen, um Mitch zu beobachten.
»Du solltest doch in deinem Honda kommen«, sagte die Stimme im Telefon.
»Der hatte eine Panne.«
»Wo hast du denn den schicken Schlitten her?«
»Den habe ich gestohlen.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich.«
»Stell ihn parallel zum Haus hin, damit ich alle Sitze im Blick habe.«
Mitch tat, was von ihm verlangt wurde. Nachdem er das Fahrzeug umrangiert hatte, öffnete er wieder alle Türen. Dann trat er ein Stück weit vom Wagen weg und wartete, den Müllbeutel in der einen Hand, das Telefon mit der anderen ans Ohr gedrückt.
Er überlegte, ob sein Gegner wohl vorhatte, ihn aus der Entfernung zu erschießen und ihm dann das Geld abzunehmen. Eigentlich wunderte er sich sogar, wieso er nicht erschossen wurde.
»Dass du nicht mit dem Honda gekommen bist, passt mir gar nicht«, sagte Jimmy Nall.
»Der hatte eine Panne, das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Was ist passiert?«
»Ein Platten. Weil du den Termin um eine ganze Stunde vorverlegt hast, hatte ich keine Zeit, den Reifen zu wechseln.«
»Ein gestohlener Wagen … da hätten die Cops dich bis hierher verfolgen können.«
»Es hat niemand gesehen, wie ich ihn mir geschnappt habe.«
»Wo hast du überhaupt gelernt, die Zündung kurzzuschließen? «
»Der Schlüssel steckte.«
Der Mann am anderen Ende schwieg. Offenbar dachte er nach. »Betritt das Haus durch die Vordertür«, sagte er dann. »Und bleib am Telefon.«
Mitch sah, dass das Türschloss aufgeschossen worden war. Er ging hinein.
Die Eingangshalle war gewaltig. Obwohl sie noch weitgehend unvollendet war, wäre selbst Julian Campbell beeindruckt gewesen.
Nachdem er Mitch eine Minute schmoren gelassen hatte, sagte Jimmy Nall: »Geh durch den Säulengang in das Wohnzimmer, das direkt vor dir liegt.«
Mitch ging in den genannten Raum, wo die Westfenster vom Boden bis zur Decke
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