Todeszeit
zurück.«
Immer noch auf den Knien hockend, gehorcht Mitch.
»Mitch«, sagt der Entführer, »wenn deine Frau die Chance auf eine persönliche Erfüllung hätte, von der sie bisher nichts geahnt hat, wenn sich ihr die Gelegenheit zur Erleuchtung, zur Transzendenz bieten würde, dann würdest
du doch sicher wollen, dass sie sich für dieses bessere Schicksal entscheidet.«
Mitch ist offenbar so verwirrt von dieser Entwicklung, dass er nicht weiß, was er sagen soll, aber Holly weiß es. Es ist so weit.
»Man hat mir ein Zeichen gesendet«, sagt sie. »Meine Zukunft liegt in New Mexico.«
Sie hebt die Arme, öffnet die Fäuste und enthüllt ihre blutigen Wunden.
Mitch entfährt ungewollt ein Schrei, der Entführer starrt auf Holly und sieht erstaunt, wie Blut aus ihren Stigmata tropft.
Die Wunden sind nicht nur oberflächlich, wenngleich sie den Nagel nicht ganz durch die Hände gebohrt hat. Sie hat ihn in die Haut gestochen und die Löcher dann mit brutaler Entschlossenheit vergrößert.
Am schlimmsten war es, selbst den leisesten Schmerzensschrei unterdrücken zu müssen. Hätte der Entführer sie auch nur aufstöhnen gehört, dann wäre er zurückgekommen, um nachzuschauen, was sie tat.
Am Anfang haben die Wunden zu stark geblutet. Dafür hatte sie das Gipspulver vorbereitet, das sie darauf gepresst hat. Bevor es wirkte, ist auf den Boden Blut getropft, das sie jedoch rasch mit dem dichten Staub verwischt hat.
Als Mitch hereinkam, hat sie die Hände in die Achselhöhlen gesteckt, um mit den Fingernägeln die Gipsschicht auf den Wunden wegzukratzen und diese wieder zu öffnen. Nun fließt zur Faszination des Entführers Blut.
»In Espanola«, fährt Holly fort, »wo sich dein Leben ändern wird, wohnt eine Frau namens Rosa Gonzales, die zwei weiße Hunde hat.«
Mit der linken Hand greift sie in den Ausschnitt ihres Pullovers. Ihr Brustansatz wird sichtbar.
Der Blick des Entführers hebt sich von den Brüsten zu ihren Augen.
Sie schiebt die rechte Hand zwischen die Brüste. Als sie den Nagel betastet, hat sie Angst, ihn nicht in den schweißfeuchten Fingern halten zu können.
Der Entführer wirft einen raschen Blick auf Mitch.
Sie ergreift den Nagel, zieht ihn hervor und rammt in dem Entführer ins Gesicht. Eigentlich hat sie nach dem rechten Auge gezielt, aber stattdessen spürt sie durch die Maske hindurch, dass sie die Wange durchbohrt hat. Sie reißt den Nagel nach unten.
Ihr Gegner öffnet den Mund. Sie sieht seine Zunge zucken, während er schreiend vor ihr zurückweicht. Seine Pistole spuckt blindlings Feuer, Kugeln bohren sich in die Wände.
Holly sieht, wie Mitch rasch auf die Beine kommt. Er hält ebenfalls eine Waffe in der Hand.
67
»Holly, weg da!«, brüllte Mitch, und sie bewegte sich schon bei der ersten Silbe ihres Namens. Mit einem Sprung zur Seite versuchte sie, so weit von dem Entführer wegzukommen, wie es die Kette zuließ.
Aus kürzester Entfernung zielte Mitch auf den Unterleib seines Gegners, traf die Brust, bewegte die Pistole nach unten, um den Rückstoß auszugleichen, drückte ein zweites Mal ab, glich den Rückstoß aus, feuerte weiter. Einige der Schüsse gingen wohl daneben, doch er sah, wie drei oder vier Kugeln die Windjacke des Mannes vor ihm zerfetzten, während die Schüsse so laut krachten, dass es durch das große Haus hallte.
Aus dem Gleichgewicht geraten, taumelte Jimmy Nall rückwärts. Seine Pistole hatte ein verlängertes Magazin und war offenbar vollautomatisch, denn sie spie eine Kugel nach der anderen aus, die ein Lochmuster in die Wand und einen Teil der Decke bohrten.
Nun umklammerte der Entführer seine Waffe nur noch einhändig. Vielleicht lag es am Rückstoß, vielleicht hatte er auch alle Kraft verloren, jedenfalls flog ihm die Pistole aus der Hand. Sie prallte gegen die Wand und fiel klappernd auf den Steinboden.
Immer noch rückwärts taumelnd, verlor der Entführer endgültig den Halt. Er stürzte auf eine Seite und drehte sich auf den Bauch.
Als das letzte Echo der Schüsse verhallt war, hörte Mitch,
dass Jimmy Nall unregelmäßig keuchte. Vielleicht atmete man so, wenn man eine tödliche Brustwunde hatte.
Auf das, was Mitch als Nächstes tat, war er nicht stolz; er empfand dabei nicht einmal eine grimmige Freude. Fast hätte er es gar nicht getan, doch er wusste, dass dieses fast ihn nicht entlasten würde, wenn für ihn die Zeit kam, sich dafür, wie er sein Leben gelebt hatte, zu rechtfertigen.
Er stellte sich über den keuchend
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