Todfeinde
lebte sie in Portland, Oregon, und war mal wieder dabei, den Ehemann zu wechseln. Sally war auf eine verletzliche, unkonventionelle Weise attraktiv und – wie es hieß – eine Künstlerin, spezialisiert auf Schmiedearbeiten.
Joe wandte sich wieder seiner Frau zu. »Nein, sie wirken nicht glücklich.«
»Es passt ihnen nicht, dass Bud meine Mutter zur Miteigentümerin dieser Herrlichkeit gemacht hat«, sagte sie und machte eine Handbewegung, die alles ringsherum mit einschloss. »Bud junior hat sich gestern Abend bei der Kostümprobe betrunken und seinen Vater angebrüllt, ehe er in den Büschen eingeschlafen ist. Sally war auch für eine halbe Stunde da und ist dann mit einem von Buds Rancharbeitern verduftet.«
»Willkommen in der Familie«, sagte Joe.
Kyle McLanahan, der neue Sheriff von Twelve Sleep County, stand vor Joe und Marybeth am Büfett an. Der pikante Geruch von gegrilltem Rind- und Schweinefleisch durchdrang die leichte Bergluft.
»Kyle«, sagte Joe und nickte.
»Joe, Marybeth – man darf vermutlich gratulieren.«
»Vermutlich«, erwiderte Joe.
»Und Ihnen auch«, entgegnete Marybeth kühl. »Seit der Wahl hab ich Sie nicht mehr gesehen.«
McLanahan nickte, zog seine Hose hoch, blickte auf die Berge und blinzelte. »Wir haben viel zu tun.«
»Klar«, meinte Joe.
Kyle McLanahan war lange Erster Hilfssheriff des legendären O. R. »Bud« Barnum gewesen. Nach achtundzwanzig Amtsjahren hatte Barnum der Landkreis gewissermaßen gehört, er hatte in nahezu allen Belangen seine Finger mit drin. In den letzten fünf Jahren aber war sein Stern gesunken, und sein Ruf hatte sich nach und nach verschlechtert, bis er schließlich vollends ruiniert war. Nicht zufällig ging Barnums Niedergang mit Joes Tätigkeit in Saddlestring einher: Zunächst hatte er die Ermittlungen im Fall der ermordeten Jagdführer falsch angepackt. Dann war er auf obskure Weise in den Viehzüchtertrust verwickelt, und als er später mit Melinda Strickland bei deren Sturmangriff auf die Anlagen der unabhängigen Viehzüchter gemeinsame Sache machte, hieß es im Landkreis, Barnum fühle sich nicht mehr dem County verpflichtet, sondern ihm sei nur noch am eigenen Vorteil gelegen. Die Machenschaften des Sheriffs während der Rinderverstümmelungen brachten den Roundup , die Wochenzeitung Saddlestrings, gegen ihn auf. Joe war als Jagdaufseher dabei die ganze Zeit über in die Geschehnisse involviert. Barnum erkannte die Zeichen der Zeit und zog seine Bewerbung um eine weitere Amtszeit als Sheriff kurz vor der Wahl zurück. Stattdessen war McLanahan ins Rennen gegangen – und mit ihm Hilfssheriff Mike Reed. Joe hielt Reed für einen anständigen Polizisten, doch McLanahan war nun mal McLanahan: launisch, dickköpfig, ein Abklatsch von Barnums Politik der Korruption. Er gewann mit achtzig Prozent der Stimmen.
»Hatten Sie heute Morgen das Funkgerät an?«, fragte ihn Sheriff McLanahan. »Ich hab Ihren Pick-up auf dem Parkplatz gesehen.«
Joe schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht im Dienst.«
Weil Marybeth und Lucy bei der Hochzeit mitwirkten, hatten sie das kleine, dem Staat gehörende Haus der Picketts schon früh in Marybeths Van verlassen. Joe war mit Sheridan im grünen Pick-up der Jagd- und Fischereibehörde von Wyoming nachgekommen, hatte auf der Fahrt das Funkgerät aber nicht eingeschaltet gehabt.
»Dann wissen Sie nicht, dass ein Jagdaufseher tot aufgefunden wurde?«, fragte McLanahan. »Drüben in Jackson.«
Joe durchfuhr ein Frösteln. » Was? «
Sheridan hatte sich mit Lucy und deren Freundinnen auf dem Spielplatz rasch gelangweilt. Er lag ein wenig abseits, sodass die Kinder die Erwachsenen nicht stören konnten. Missy hatte ihm, wie Sheridan fand, überdeutlich ihren Stempel aufgedrückt. Es gab einige Schaukeln, ein paar Kindertische und -stühle sowie ein Teeservice aus Plastik.
Sie verließ die Hochzeit und schlenderte zum provisorischen Parkplatz. Es war hart, dreizehn zu sein – zu alt zum Spielen, zu jung, um als erwachsen zu gelten. Ihre Eltern waren prima und behandelten sie nie respektlos, obwohl ihre Mutter ihr allmählich auf die Nerven ging, ohne dass sie hätte sagen können, warum. In Situationen wie dieser, von lauter Erwachsenen umgeben, fühlte sie sich bevormundet. Sie stieg in den Pick-up ihres Vaters und betrachtete sich im Rückspiegel. Wenigstens hatte sie endlich Kontaktlinsen und sah nicht mehr ganz so streberhaft aus.
Geistesabwesend schaltete sie das Funkgerät ein. Es war auf die für
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