Töchter auf Zeit
spürte, wie ich langsam ärgerlich wurde. »Wieso kapierstdu nicht, dass ich mir nichts sehnlicher wünsche als ein eigenes Kind?«
»Natürlich verstehe ich das«, sagte sie mit leiser Stimme und stellte mir eine Tasse Tee auf den Tisch. »Es tut mir weh, wenn ich sehe, wie du dich quälst. Wie lange willst du das noch mitmachen?«
»Bis ans Ende meiner Tage.«
Ich ließ mich auf das Sofa fallen, streckte mich dann der Länge nach aus und legte meine Hand auf die Stelle, wo der Schmerz normalerweise saß. Seit meine Mutter gestorben war, tat mir der Magen weh, ein nagender Schmerz unter meinen Rippen. Tums gegen Sodbrennen, Tagamet und Pepcid zur Hemmung der Magensäureproduktion, Axid gegen Magengeschwüre … Nichts davon half. Ich brauchte ein viel stärkeres Medikament, um die Selbstzweifel, die mich an diesem Tag plagten, aushalten zu können. Ich brauchte nahezu einen ganzen Arzneikoffer: etwas gegen die Krämpfe, etwas gegen das Zuviel an Magensäure und etwas gegen meine Schmerzen und mein Leid.
Wenn doch nur meine Mutter hier wäre. Sie würde mir das Haar hinters Ohr streichen, mir einen heißen Kakao machen, in den sie einen Löffel Marshmallow-Creme gegeben hatte, und mich mit den Worten trösten: »Alles wird gut; deine Zeit wird noch kommen!« Aber Mom war nicht hier, nur Claire, und Claire würde so etwas nie sagen. Claire ging Probleme logisch an. Sie würde mir Tipps geben, mir passende Bücher empfehlen und mir in den Ohren liegen, dass ich mich gefälligst zusammenreißen und über Plan B nachdenken sollte. »Hast du den Artikel über das Paar gelesen, das Zwillinge adoptiert hat?«, würde Claire von mir wissen wollen.
Die Kellertür quietschte, als Tim sie nach seinem Training öffnete. Ich wischte mir die Tränen ab, rutschte vom Sofa und versuchte krampfhaft, meine Mundwinkel nach oben zu bewegen. Tims T-Shirt war schweißdurchtränkt und sein strubbligesHaar stand in alle Richtungen ab. Seine Wangen glühten. Voller Leben, das traf es am besten. Das absolute Gegenteil von mir. Jedes Mal, wenn ich einen Blick in den Spiegel warf, fiel mir auf, wie verblüffend ähnlich ich doch Larry, meinem Vater, sah.
Kaputt,
so sah er immer aus.
»Wie geht es dir?«, fragte mich Tim vorsichtig. Der Umgang mit mir war in dieser Zeit kein Honigschlecken, jederzeit konnte ich hochgehen wie eine Bombe.
»Mir geht’s gut«, antwortete ich und nahm ein Gatorade für ihn aus dem Kühlschrank.
Er sah knabenhaft aus, wie ein Dressman in einer Anzeige für Polohemden. Oder wie ein Schuljunge in seinem Lacrosse-Shirt, der gerade vom Spielfeld trottete. Er rieb sich mit einem Handtuch den Schweiß vom Gesicht und bohrte nach. »Wie geht es dir wirklich?«
»Wie immer. Hab mitten in der Nacht meine Tage bekommen.«
»War doch klar, dass du sie kriegen würdest.« Als ob nicht die Spur einer Chance bestünde, dass ich doch noch schwanger würde. »Wir müssen den Papierkram erledigen. Irgendwo da draußen wartet unsere Tochter auf uns. Konzentrier dich doch darauf.«
Tims langjähriger Freund hatte letztes Jahr ein chinesisches Mädchen adoptiert, und es lief fantastisch. Tim hatte sich schon informiert und sich an dieselbe Agentur gewandt, über die auch die Tochter seines Freundes vermittelt worden war, und die entsprechenden Anträge angefordert. Der Umschlag lag ungeöffnet auf meiner Kommode.
Das ist meine Tochter aus China
, hatte ich einmal sagen wollen, aber die Worte blieben in meinem Hals stecken wie zu viel Maisbrot ohne Wasser. Die
Tochter, die
in meinem Mund schmolz wie ein Schokoladentrüffel, war diejenige, die ich nicht empfangen konnte.
»Ach, Helen«, sagte Tim. »Ein Baby kann schließlich jeder kriegen, aber man muss schon etwas ganz Besonderes sein, um ein Kind zu adoptieren.«
Der brennende Schmerz in meiner Magengegend flammte auf. Ich wusste, dass Tim keineswegs meine Gefühle verletzen wollte, aber er schaffte es fast immer. Als ob die vier Jahre, in denen wir vergeblich versucht hatten, schwanger zu werden, nur eine lästige Übung in Biologie oder Chemie gewesen wären, die langfristig keine Rolle spielten.
»Es kann eben nicht jeder ein Baby kriegen«, platzte es aus mir heraus.
»Du weißt genau, dass ich das nicht gemeint habe.«
»Tut mir leid«, sagte ich und wünschte, ich würde nicht alles, was Tim sagte, so verdammt persönlich nehmen.
Er atmete schwer aus und lächelte mich an. »Okay, dann fangen wir noch mal von vorne an. Was hast du heute vor?«
Ich biss in
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