Töchter auf Zeit
aus. Haben Sie selbst eine?
A: Nein, aber es fiel mir trotzdem leicht, darüber zu schreiben; ich konnte mir die Art ihrer Bindung sehr gut vorstellen: Helen war hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu Claire und ihrer Abhängigkeit von ihr, die sie daran hinderte, sich zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu entwickeln. Helen hätte niemals gewollt, dass Claire stirbt, aber nach ihrem Tod sah Helen die Dinge klarer. Sie hätte wohl niemals erfahren, wie stark und mutig sie ist, wenn Claire ihr als Rettungsanker weiterhin zur Verfügung gestanden hätte. Als mir beimSchreiben klar wurde, dass es nur eine Lösung gibt, nämlich dass Claire sterben muss, war ich sehr traurig. Vom Verstand her wusste ich, dass es das Beste ist, aber ich habe wie Helen um ihren Verlust getrauert.
F: Weshalb ist Helen so entschlossen, sich wieder mit Larry zu versöhnen?
A: Larry steht für ihre Kernfamilie, die sie so schrecklich vermisst. Ihre Mutter ist tot, und als Claire noch lebt, lässt sie es nicht zu, dass sich Helen mit ihrer Vergangenheit befasst. Helen weiß, dass Larry nicht nur ihr Vater, sondern auch ihr Seelenverwandter ist, der ebenso unter dem Verlust der Mutter, seiner Frau, leidet wie sie. Sie beide wollen die Vergangenheit nicht begraben sehen, sie möchten sie am Leben erhalten und behüten wie einen wertvollen Schatz. Helen erkennt sich selbst in Larry, auch wenn er jemand ist, der nicht immer alles richtig gemacht hat, dem mitunter der Mut gefehlt hat, aber der es immer gut gemeint hat und dessen Gefühle aufrichtig waren.
F: Helen denkt in Begriffen, die meist etwas mit Essen zu tun haben. So heißt es auf Seite 83 : »Meine Tochter, es war noch nicht allzu lange her, dass mir diese Worte im Hals stecken geblieben waren, doch jetzt verspürte ich allein beim Gedanken daran Wärme und ein wohliges Gefühl, wie wenn ein Sahnebonbon im Mund schmilzt.« Spielt Essen eine große Rolle in Ihrem Leben?
A: Ja, auf jeden Fall. Mir ist Essen – gutes Essen – sehr wichtig, und zum Glück ist mein Mann ein begnadeter Koch, der uns an den meisten Abenden verwöhnt. Ich bin in der Küche nicht halb so gut wie er, aber ich weiß, dass köstliches Essen nicht nur für den Körper, sondern auch für die Seele gut ist. Ich gehöre zu der Sorte Mensch, die sich schon in aller Früh Gedanken darüber macht, was sie tagsüber so alles essen will.
F: Nach Claires Tod räumt sich Helen ein, dass ihr ein paar Aspekte der neuen Situation gut gefallen: Ross und Maura wohnen jetzt gleich gegenüber, und auch Larry spielt wieder eine Rolle in ihrem Leben. Ist es okay für Helen, dass sie glücklich ist, nachdem sie ihre Schwester verloren hat?
A: Aber sicher. Claire hätte auf jeden Fall gewollt, dass Helen ihr Glück findet, da unterscheidet sie sich in nichts von ihrer Mutter, die ihren beiden Töchtern alles Glück dieser Erde gewünscht hat. Helen begreift, dass es keine in die Zukunft gerichteten Versprechen geben kann und dass wir nicht immer in die Rollen schlüpfen können, die wir uns ausgesucht hätten, wären wir gefragt worden. Darüber sagt sie: »Krankheiten und Unfälle beenden andauernd Leben, aber das bedeutet nicht, dass wir nicht leben und unser Leben genießen sollten.« Als Zeichen ihrer Reife und persönlichen Weiterentwicklung kann sie sich mit dem Gedanken anfreunden, dass das Leben manchmal sehr kurz sein kann.
F: Sie haben Ihrem Buch den Titel Töchter auf Zeit gegeben. Spiegelt sich darin dieses Empfinden wider?
A: Ich dachte darüber nach, dass jeder, auch Helen, Claire, Sam und Maura, Töchter sind. Doch in meinem Buch wurden diese vier Frauen – jede auf eine ganz individuelle Art und Weise – dieser Stellung beraubt. Je länger ich darüber nachdachte, umso trauriger wurde ich, denn wer würde nicht gerne
für immer
Tochter bleiben? Tochter zu sein heißt, man ist nicht allein, man findet leicht Trost, Sicherheit und Liebe in den Armen seiner Mutter.
F: Helen bewundert, dass Claire und auch ihre Freundin Amy DePalma sehr gläubige Menschen sind. Lässt sich der Glaube lernen oder kommt man damit auf die Welt?
A: Ich muss zugeben, dass mich der katholische Glaube und die mit den Gottesdiensten verbundenen Traditionen und Rituale faszinieren. Ich selbst wurde nicht katholisch erzogen, aber ich habe manchmal das Gefühl, dass mir bestimmte Dinge fehlen und dass es wahren Christen nicht so ergeht. Immer wenn ich jemanden kennenlerne, der in seinem Glauben ruht, ziehe ich den Hut und
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