Töchter der Sechs (German Edition)
Türmen ausmachen. Sie folgten nun einer breiten Straße, deren Pflaster reinweiß war und in der Sonne glänzte. Sie führte sie direkt auf das Haupttor des Palastes zu. Dort angekommen, trug Zada der Torwache ihr Anliegen vor. Diese beachtete sie jedoch nicht. Erst als Mawen den Wunsch wiederholte, den Herrscher zu sprechen, erfolgte eine Reaktion. Den Drei war schon bei dem Gespräch mit dem Hafenmeister aufgefallen, dass sich dieser stets Mawen zugewendet und die beiden Frauen kaum beachtet hatte. Anscheinend waren Frauen in diesem Land nicht als ernst zu nehmende Gesprächspartner angesehen. Mawen musste eine Weile mit der Torwache diskutieren und auch ein mitgeführtes Schreiben der cytrianischen Regierung vorzeigen, bevor ihnen die Geschichte geglaubt wurde. Die Torwache rief einen zweiten Soldaten herbei. Dieser geleitete sie in den Innenhof des Palastes. Dort wurden sie von einem Beamten empfangen. Diesem mussten sie ihre Geschichte erneut darlegen. Offenbar gelang es Mawen, den Mann zu überzeugen, denn sie wurden höflichst in das Innere des Palasts geleitet. In einem Salon hieß man sie warten. Dies gab ihnen Gelegenheit, sich umzuschauen. Die Innenausstattung war noch prunkvoller als das Äußere. Die Hölzer des Fußbodens erschienen edel und waren in komplizierten Mustern verlegt. Bunt gemusterte Stoffe zierten die Bogenfenster, die aus bunt gefärbten Gläsern bestanden. Überall waren Gold und Silber zu sehen. Da ihr Vater Tharet sie bisweilen dorthin mitgenommen hatte, kannte Zada den ehemaligen Königspalast von Aaran, doch eine solche Pracht gab es dort nicht.
Nachdem sie sich umgesehen hatten, begann die Drei, sich leise zu unterhalten. Zada fragte: „Was meint ihr, werden wir den König sprechen dürfen?“
„Ich denke schon. Sonst hätte man uns sicher schon abgewiesen. Ich denke, sie sind neugierig. Aber es wird besser sein, wenn ihr mich sprechen lasst. Es scheint hier nicht üblich zu sein, dass Frauen in solchen Angelegenheiten reden.“
Darija erwiderte: „Wie Ihr meint, Mawen. Ich würde mir das ohnehin nicht zutrauen, mein Helwarisch ist doch eher schlecht. Ich habe nicht viel von dem verstanden, was der Beamte sagte.“
Mawen wandte sich an Zada: „Könnt Ihr uns noch irgendetwas zum König sagen. Erinnert Ihr euch an etwas, was das Regierungssystem betrifft.“
„Wie könnte ich. Ich war erst fünf, als ich Helwa verließ. Meine Eltern lebten irgendwo in einem ländlichen Gebiet an der Küste und ich kann mich nicht erinnern, dieses je verlassen zu haben. Ihr müsst euch also auf Euer Gespür verlassen.“
Danach schwiegen sie und warteten. Draußen ging gerade die Sonne unter, als sich eine der zahlreichen Türen öffnete und der Beamte zurückkehrte. Er bat die Drei, ihm zu folgen. „Der hochwohlgeborene König Korat, gottgleicher Herrscher über Helwa, erwartet euch.“ Sie wurden in einen riesigen Saal geführt, der von Tausenden Kerzen erhellt wurde. Am Ende des verschwenderisch ausgestatteten Raumes stand ein Sessel auf einem Podest, in dem gerade ein ältlicher Mann in einem purpurroten Mantel Platz nahm. Mawen erkannte sogleich, dass es sich dabei um den König handeln musste, und verbeugte sich tief. Die beiden Frauen an seiner Seite machten einen tiefen Knicks. Auf ein Winken des Königs traten sie näher an den Thron heran. Mawen stellte sich und seine Begleiterinnen vor und trug ihr Anliegen vor. Der König schwieg, bis Mawen geendet hatte. Sein Gesicht war ausdruckslos, sodass Mawen nicht einschätzen konnte, was der Herrscher Helwas von ihrem Auftauchen hielt.
Schließlich begann der König zu sprechen. Seine hohe, fast kindliche Stimme passte nicht zu seinem massigen Körper. Mawen konnte nur mit Mühe ein Schmunzeln unterdrücken. „Ihr behauptet also, aus Cytria zu kommen? Die Götter gaben euch den Auftrag, über das Meer zu segeln?“
Mawen antwortete: „So ist es, Euer Majestät.“
„Und das sollen Wir euch glauben. Wer sagt Uns, dass ihr keine Spione seid. Sicher sollt ihr Unser Land nur ausspionieren, um uns später zu überfallen. Und was sagt ihr dort von Göttern. Götter sind nur Ammenmärchen. Die Zeiten, in denen wir so was glaubten, haben wir seit Langem überwunden.“
„Euer Majestät, seid versichert, wir kommen in friedlicher Absicht, um nach langer Zeit wieder Kontakt zwischen unseren Völkern herzustellen. Denkt doch an die Möglichkeiten des Handels und des Austausches von Wissen. Es wäre zum beiderseitigen
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