Töchter der Sechs (German Edition)
Götter selbst hatten ihr ihre Wichtigkeit bestätigt. Die Tränen waren getrocknet und ein kleines Lächeln stahl sich auf ihre Züge. Dennoch verharrte sie noch einen Moment in der Umarmung, bevor sie sich freimachte.
Nun war es an ihm, den beiden Frauen sein Innerstes zu offenbaren. Schon als er die beiden im Arm hielt, hatte er überlegt, was er ihnen sagen sollte. Er war nicht von solchen Zweifeln geplagt worden wie die beiden Frauen. Für ihn war ein jeder Schritt logisch auf den vorangegangenen gefolgt und er hatte die ganze Mission als eine Herausforderung an seinen Intellekt angesehen. Daher gab es wohl nur eine Sache, die er ihnen bisher verheimlicht hatte. „Ich danke euch, dass ihr so offen wart. Mein Geheimnis ist sehr viel grundlegender als die euren und ich trage es nun schon acht Jahre mit mir herum. Ich wollte es euch nicht offenbaren, da ich um meine Zukunft fürchtete.“
Er hielt kurz inne, um Kraft zum Weitersprechen zu sammeln. „Ihr kennt mich als Mawen, doch diesen Namen habe ich erst angenommen, als ich um Aufnahme in die Gemeinschaft der Gelehrten von Roteha ersuchte. Mein wahrer Name ist Madia und ich bin die Tochter von Peria und Jeven. Ich wollte so sehr Gelehrter werden, dass ich es nicht riskieren wollte, als Mädchen darum zu kämpfen, sondern meine Identität aufgab und zu Mawen wurde.“
Beide Frauen waren mehr als erstaunt. Zada fand zuerst ihre Sprache wieder: „Warum habt Ihr es uns nicht gesagt, wir hätten es doch niemandem verraten.“ Darija nickte zustimmend.
„Ich weiß, aber wenn man so lange eine Lüge lebt, so ist sie einem so vertraut, dass man sich ein Leben ohne sie kaum mehr vorstellen kann.“ Obgleich er wusste, wie wahr seine Worte waren, spürte er in diesem Moment nicht die geringste Furcht vor der neuen Situation. Vielmehr war er erleichtert. Ihm war es, als wäre die Luft erfüllt von dem Widerhall seines wahren Namens.
„Danke, dass Ihr es uns gesagt habt. Aber wenn es Euch recht ist, solltet Ihr zumindest nach außen den Schein beibehalten. Ich bin mir nicht sicher, ob drei allein reisende Frauen in Helwa nicht als leichtes Opfer angesehen werden.“ Er fand Darijas Einwand durchaus vernünftig und stimmte ohne großes Bedauern zu. Es würde ohnehin eine schwierige Umstellung werden, wieder als Madia zu leben. Diesen Prozess hinauszuschieben, war also durchaus in seinem Sinne.
All diese Neuigkeiten und offengelegten Geheimnisse hatten sie fast vergessen lassen, wo sie sich befanden. Erst jetzt richtete Darija ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Meer und konnte ihren Augen zunächst kaum trauen. In die zuvor spiegelglatte See kam Bewegung. Die Luft regte sich und kleine Wellen kräuselten sich auf der Wasseroberfläche. Zada schien es ebenfalls bemerkt zu haben. Sie sagte: „Wir scheinen die Prüfung bestanden zu haben. Lasst uns die Segel setzen. Je schneller wir diesen scheußlichen Nebel hinter uns lassen, desto besser.“
Sie segelten die ganze Nacht, und als der Morgen zu dämmern begann, löste sich der Nebel schlagartig auf. Die plötzliche Helligkeit ließ sie blinzeln. Als sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, blickte sie verwirrt auf eine Sonne, die den Tageshöchststand gerade erreicht zu haben schien. Dem Sonnenstand nach war es gegen Mittag. Rat suchend wandte sie sich an Mawen. Er fing ihren fragenden Blick auf, konnte ihr aber zunächst auch nur mit einem Achselzucken antworten. Erst nach einer Weile wagte er einen Erklärungsversuch: „Vielleicht vergeht die Zeit im Nebel anderes als außerhalb. Wenn dem so ist, könnten, während wir im Nebel waren, Monde oder Jahre verstrichen sein, vielleicht aber auch nur Minuten oder Stunden. Ich fürchte, wir müssen bis zum Mondaufgang warten. Daran und an der Position der Sterne gelingt es mir vielleicht, das Datum zu bestimmen."
Seine Berechnungen hatten fast die ganze Nacht in Anspruch genommen, doch nun war sich Mawen sicher, dass sie den Nebel am gleichen Tag verlassen hatten, an dem sie in ihn eingetaucht waren. Was ihnen im Nebel wie Tage erschienen war, waren in Wirklichkeit nur ein paar Stunden gewesen. Dem Sonnenstand nach zu urteilen waren sie ungefähr acht Stunden, also einen drittel Tag im Nebel gewesen. Ein Mond im Nebel entsprach also einem Tag in der realen Welt. Nun, glücklicherweise hatten sie diesen Teil ihrer Reise nun hinter sich gebracht. Hoffentlich hatten sie dabei stets die südliche Richtung beibehalten. Nicht, dass sie an Helwa
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